Wertpapieranalysten gelten als Finanzzauberer. Wie aber sieht ihr Alltag aus? Und worauf stützen sie ihre Empfehlungen?

"Ich habe meinen Posten hier nur wegen der schönen Aussicht angetreten", lacht Hartmuth Höhn. Ein freier, unverbaubarer Blick auf die Binnenalster aus dem siebten Stock, wie ihn gleich nebenan die Gäste im Hotel Vier Jahreszeiten genießen können - andere Menschen bezahlen für diese Aussicht gutes Geld. Höhn verdient hier Geld, und vor allem hilft er anderen, Geld zu verdienen. Der 43-Jährige ist Leiter der Abteilung Wertpapieranalyse bei der Berenberg Bank am Neuen Jungfernstieg. Höhns Tag beginnt um 7.30 Uhr morgens: "Dann verschaffe ich mir einen ersten Überblick über die Unternehmensmeldungen, die die Nachrichtenagenturen Reuters und Bloomberg liefern", sagt Höhn. Außerdem studiert er das Handelsblatt und die Financial Times Deutschland, schaut sich Devisenkurse und die Entwicklung der Märkte in Fernost und den USA an. Die Recherche dauert rund eine halbe Stunde. "Unsere Kunden sind gegen 8.30, 9 Uhr im Büro. Dann beliefern wir sie mit den ersten Informationen", sagt der Analyst. Höhn arbeitet zusammen mit zwanzig Kollegen in der Abteilung Institutionelle Wertpapieranalyse und -kundenbetreuung. Ziel ihrer Arbeit ist es, so genannten institutionellen Anlegern wie die Versicherungswirtschaft oder öffentlichen Fonds bei der Entscheidungsfindung zu helfen. Welche Aktien sind interessant und werden sich gut entwickeln? Welche Anlagen sind riskant, aber kurzfristig Gewinn bringend? "Wir interpretieren und bewerten Unternehmensdaten", sagt Höhn. "Wir versuchen, mit unserer Expertise das Vertrauen der Kunden zu gewinnen." Wenn dann eine Kaufs- oder Verkaufsorder gegeben wird, führt die Bank den Auftrag auch aus und erhält dafür Provision. "Je nach Größe des Geschäfts kann das fünf Minuten oder fünf Stunden dauern", sagt Höhn. Gleichzeitig werden die Kunden den ganzen Tag über informiert. Lohnt sich der Aufwand? "Das lohnt sich, weil die Volumina so groß sind", sagt Höhn. "Der Bereich ,Institutionelle Anleger' ist das am härtesten umkämpfte Marktsegment." Konkurrenten seien sämtliche international agierenden Banken. In Deutschland werben sie um rund einhundert institutionelle Anleger. Der Alltag von Höhn ist stressig, der 10-Stunden-Tag die Regel, zum Mittagessen bleibt nicht viel Zeit. Als Ausgleich geht er laufen, und beweist, dass er privat genau so schnell ist wie beruflich: "In diesem Jahr war ich beim Hansemarathon dabei." Drei Stunden und 41 Minuten hat Höhn gebraucht - eine stolze Zeit, mit der er jenseits aller Altersklassen in der ersten Hälfte der Hanse-Marathonläufer liegt. Analysten beliefern nicht nur externe Kunden, sie recherchieren auch im Auftrag interner Abteilungen. Das ist zum Beispiel bei der Postbank so. "Wir geben Empfehlungen weiter und schreiben Firmenporträts, die so genannten company flashs", sagt Heinz-Gerd Sonnenschein von der Postbank. Sein Schwerpunkt sind Unternehmen, die in Windenergie investieren. "Darin ist Deutschland Weltmeister", betont Sonnenschein. Er muss sich parallel auch um die aktuelle Gesetzgebung zum Thema kümmern und beobachten, wer wo im Ausland investiert: "Firmen, die langfristig erfolgreich sein wollen, müssen ins Ausland gehen, denn bei uns wird es in absehbarer Zeit nicht genügend Flächen geben", erläutert Sonnenschein. Eine direkte Rückmeldung, ob auf Grund der Empfehlung ge- oder verkauft wird, gibt es nicht. Aber immerhin sind die Analysen öffentlich im Internet nachzuschauen - unter postbank.de. Mit mythisch verklärten, reichen und mächtigen Figuren wie dem von Michael Douglas verkörperten Gordon Gekko in dem Film "Wall Street" haben weder Sonnenschein noch Höhn zu tun: "Wir bekommen normale Angestellten-Gehälter", sagt Höhn. "Damit soll gewährleistet werden, dass wir unabhängig sind."