Wie entwickelt sich die US-Wirtschaft und warum ist die deutsche Wirtschaft so abhängig von ihr? Interview mit Ralf Freitag, Leiter der Anlageberatung bei der Dresdner Bank in Hamburg : ABENDBLATT: Nach der Sommersaison gibt es in der US-Konjunktur traditionell eine schlechte Phase. Muss man zurzeit auch diesen Aspekt berücksichtigen? RALF FREITAG: Es herrscht große Unsicherheit in Bezug auf die Wirtschaftsentwicklung in den USA. Dort verfügt jeder dritte Haushalt über Aktien, in Deutschland ist es nur jeder zehnte. Deshalb könnte man meinen, dass durch die massiven Kursrückgänge im Aktienbereich den US-Haushalten weniger Geld für Konsum zur Verfügung steht. Das stimmt aber nicht, weil die fehlenden Aktiengewinne durch niedrigere Zinsen für Immobilienkredite ausgeglichen werden. Wir gehen daher weiterhin von einem robusten privaten Verbrauch aus. Das eigentliche Problem liegt auf der Unternehmensseite, wo die Firmen zurzeit sehr zurückhaltend investieren. Aber auch hier gibt es positive Signale: Notenbankchef Alan Greenspan wollte die Zinsen ursprünglich unverändert lassen. Jetzt will er sie eventuell doch senken, was günstigere Investitionen ermöglichen würde. ABENDBLATT: Wie erklären Sie sich die starken Ausschläge an der Börse? FREITAG: Momentan wird in den USA und Deutschland auf jedes kleinste Signal der Wirtschaft geachtet. Das führt zu großer Nervosität und zu entsprechenden Überreaktionen, die dann auf der Aktienseite zu starken Schwankungen führen. ABENDBLATT: Der DAX reagiert empfindlicher auf negative Entwicklungen als der Dow Jones. Woran liegt das? FREITAG: Es ist in der Tat überdeutlich. Der Dow Jones stand im Frühjahr 2000 bei 12 000 Punkten, momentan steht er bei rund 8000 Punkten. Der DAX dagegen ist im selben Zeitraum von 8000 Punkten auf unter 3000 Punkte abgerutscht, also ein deutlich höherer Verlust. Das liegt zum einen daran, dass der DAX sehr technologielastig geworden ist, aber auch daran, dass die deutsche Wirtschaft rein wachstumsmäßig nicht sehr gut dasteht. Im EU-Vergleich sind wir zurzeit das Schlusslicht. Für 2002 wird ein Wachstum von 0,5 bis 0,75 Prozent prognostiziert. ABENDBLATT: Wie stark ist die Abhängigkeit von der Wall Street? Ist sie auch psychologisch bedingt? FREITAG: Auch. Aber an der Wall Street wird einfach ein Volumen bewegt, das mit Frankfurt in keiner Weise zu vergleichen ist. Das ist, als wollte man ein Containerschiff mit einem Segelboot vergleichen. Wir können uns gegen Trends an der Wall Street nicht wehren. Wir hatten vor kurzem den Fall, dass wir bis 15.30 Uhr eine positive Eigendynamik hatten. Mit der Eröffnung der Wall Street um 15.30 Uhr erwischte uns der negative Trend an diesem Tag. ABENDBLATT: Wie steht es mit einer Konjunkturbelebung? FREITAG: Wir erwarten in den USA schon in diesem Jahr ein stärkeres Wirtschaftswachstum, in Deutschland für 2003.