Er gehört zur Tour de France wie Jan Ullrich und Lance Armstrong: Dieter Senft alias El Diablo, der Teufel der Landstraße. Jetzt hat er sich selbst und seiner Leidenschaft ein Denkmal gesetzt: ein Museum mit den skurrilsten Fahrrädern der Welt.

So mancher Radrennfahrer fürchtete schon, er habe eine Erscheinung. Da quält er sich die Passstraßen der Tour de France hinauf - und dort oben lauert er schon: El Diablo, der Teufel. Mit knallrotem Umhang, grauem Rauschebart, Hörnern und Dreizack, als wäre er geradewegs der Hölle entsprungen. Die Bilder, wie er die Großen der Zunft über die Gipfel jagt, gehören seit Jahren zum Ambiente der Tour, die an diesem Sonnabend in ihr 101. Jahr geht. Auch diesmal wird Dieter "Didi" Senft (52), der Teufel, Lance Armstrong, Jan Ullrich und Co. einheizen.

"Das ist die schönste Zeit des Jahres", sagt Senft, "es gibt nichts Größeres als die Frankreich-Rundfahrt." Und so koppelte er Mitte der Woche wieder mal eines seiner Riesenvelos an den klapprigen, elf Jahre alten VW-Bus und zog gen Frankreich.

354 000 Kilometer hat sein rollendes Zuhause schon auf dem rostigen Buckel. Und ob es diesen neuerlichen Teufelsritt durch Alpen und Pyrenäen heil übersteht, ist nicht gewiss. Doch das schreckt den gelernten Karosseriebauer keineswegs. "Schließlich bin ich auch gelernter Ossi", erklärt er. Improvisieren habe im Arbeiter- und Bauernstaat zu den fundamentalen Überlebensstrategien gehört.

Als der ehemalige DDR- Radamateur und mehrmalige Bezirksmeister 1993 als Tourist seine Tour-Premiere feierte, ging für ihn ein Traum in Erfüllung. In Anlehnung an den so genannten Teufelslappen, jenes rote Fähnchen, das die letzten 1000 Meter einer jeden Etappe anzeigt, habe er sich selbst zum Leibhaftigen stilisiert. Dergestalt schrie er, den eisernen Dreizack wild schwenkend, seinerzeit Italiens Starpedaleur Claudio Chiapucci den Pyrenäen-Gipfel Col d'Ordino hinauf. Die Fernsehbilder gingen um die Welt - es war die mediale Geburt des Tour-Teufels.

Seitdem treibt Senft nicht nur bei der Frankreich-Rundfahrt, die er nun zum zwölften Mal erlebt, sein Unwesen. Inzwischen sucht er regelmäßig auch den Giro d'Italia, die Tour de Suisse, die Friedensfahrt oder die Bayern-Rundfahrt heim. Auf diese Weise ist er rund 180 Tage im Jahr unterwegs. 1995 weilte er sogar bei der WM in Kolumbien und 2000 bei den Olympischen Spielen in Sydney.

Der gebürtige Reichwalder geht in der Rolle des Teufels voll auf. Um Gepäck zu sparen, hatte er sich selbst auf dem langen Flug nach Australien in sein Teufelskostüm gezwängt und die Hörnerkappe übergestülpt. Nur dass er in Ermangelung einer Unterkunft auf einer Parkbank nächtigte, fanden die Ordnungshüter von Sydney dann doch nicht so lustig und verordneten ihm zeitweilig gesiebte Luft.

Längst ist der Sonderling mit dem Zottelbart zu einem Maskottchen für die kurbelnden Radprofis geworden. Einige behaupten sogar, sie würden ihn riechen, bevor sie ihn sehen . . . Doch nicht alle begegnen ihm uneingeschränkt arglos. Italiens kürzlich verstorbenes Idol Marco Pantani, ein gläubiger Katholik, hegte stets einen gewissen Argwohn, "obwohl ich mich mit seiner Mutter und seiner Verlobten immer glänzend verstand", wie Senft glaubhaft versichert.

Auch Tour-Direktor Jean- Marie Leblanc versagte ihm über viele Jahre ein gemeinsames Foto. Dem Dauer-Enthusiasmus und der Nibelungentreue des kauzigen Deutschen konnte sich der allgewaltige Franzose dann aber doch nicht auf Dauer verschließen. "Seit der Jubiläums-Tour im Vorjahr ist das Eis gebrochen", weiß Didi. Jetzt würde Leblanc sogar seine gesamte Entourage anhalten lassen, um dem Teufel die Hand zu schütteln.

Solche Ritterschläge haben Senfts Marktwert beträchtlich gesteigert. So kam es, dass er sich bei der jüngsten Deutschland-Tour drei Tage in einem blitzenden Maserati durch die Lande kutschieren ließ. Ein EDV-Unternehmer aus Lahr bei Offenburg hatte sich den Leibhaftigen in die Edelkarosse geholt, um Werbung in eigener Sache zu machen.

Bereits seit der Rad-WM 1991 in Stuttgart wirbt Senft mit Stickern in zehn verschiedenen Größen für den Kupplungsbauer LuK. Inzwischen hat ihn auch die Handelskette Marktkauf als Werbeträger entdeckt. Mit einer kuriosen Räder-Show gastiert der Tour-Teufel zudem als Attraktion auf Stadtfesten, in Einkaufszentren oder bei Automessen - für eine Tagesgage von 500 Euro.

Dass ihn viele für ziemlich schräge oder gar durchgeknallt halten, stört Senft nicht im Geringsten: "Ich sehe mich als Künstler, als Schauspieler, ich lebe diese Rolle."

Und weil die Deutschen ein Volk der Jäger und Sammler sind, hat Didi Senft seine Kollektion skurriler Fahrräder, die er im Lauf der Jahre zusammengetragen hat, in einem zünftigen Museum untergebracht - mit 200 Exemplaren natürlich die größte Sammlung der Welt.

Wer sich in Brandenburg von der Autobahn 12 kommend Storkow - südöstlich von Berlin - nähert, stolpert beim Kreisel zum Gewerbegebiet Neu-Boston fast zwangsläufig über ein riesiges Fahrrad. Mehr als drei Meter ragt es in die Landschaft und ist der gar nicht diskrete Hinweis auf Deutschlands jüngstes Museum gleich vis-a-vis.

Am 12. Mai eröffnet, manifestiert sich hier die schier grenzenlose Lust am Konstruieren absonderlicher Velo-Kreationen. 17 von ihnen fanden Eingang ins Guinness-Buch der Rekorde: das Größte, Kleinste, Längste, Leichteste oder Schwerste seiner Art.

Der rollende Wahnsinn hatte 1976 mit einer Schnapsidee zum Vatertag den Anfang genommen. Ein gewöhnlicher Bollerwagen erschien den Angelkumpels für den traditionellen Zug durch die Gemeinde zu piefig. Also beauftragten sie Didi, den Bastler, mit dem Bau eines rassigen Dreisitzers. Am Ende bot das Fahrrad mit Seitenauslegern sogar noch Platz für eine ganze Kiste Bier.

Die Velo-Schrauberei wurde für Senft zur Passion. In der Anfangszeit war er Stammbesucher der städtischen Müllkippe, wo er die Rohmaterialien für seine ersten Rekordmaschinen fand. Heute ordert Senft von einer Berliner Firma Sechs-Meter-Alurohre gleich im Dutzend. Und auch die Antriebsketten sind nagelneu. Immerhin ist sein größtes Rad 3,70 Meter hoch. Und sollte da beim Fahren die Kette reißen, riskiert er seinen Hals.

In den nächsten drei Wochen aber wird man ihn in seinem Museum vergeblich suchen. Denn jetzt verwandelt sich Dieter Senft wieder in El Diablo, den Tour-Teufel. Ehefrau Margitta (52), Tochter Cynthia (30) sowie die Enkel Tom (5) und Luis (2) haben es gelernt, seine Lebensträume zu respektieren. Für sie ist klar: Eine Teufelsaustreibung wäre zwecklos.