Tagebuch

Die Terrasse der kleinen Pension bietet einen herrlichen Blick über ein grünes Tal hinüber nach St. Alexandre. Richtig stolz macht die belgischen Wirtsleute indes, dass man hinter dem Kirchturm des malerisch auf einem Hügel gelegenen kleinen Winzerdörfchens einen der legendärsten Gipfel der Tour de France erspähen kann: den Mont Ventoux.

Wie ein mächtiger Vulkankegel thront der Berg mitten im dunstigen Panorama der Provence. 1967 starb dort an einer trostlos kargen Flanke der britische Radprofi Tom Simpson, an einem tödlichen Mix aus Amphetaminen und Rotwein.

Am liebsten hätten die Organisatoren den 1909 m hohen Ventoux auch diesmal ins Programm genommen. Doch die Tour-Reporter aus aller Welt sind inzwischen froh über jede Bergankunft, die ihnen erspart bleibt. Denn nicht nur die Auffahrten bedeuten angesichts wild umherspringender Fans und zahlloser Hobbyfahrer mit Platzhirsch-Allüren Stress pur.

Zur ultimativen Nervenprobe werden vor allem die Abfahrten, wenn sich in den gewaltigen Tour-Tross von rund 4500 Fahrzeugen auch noch zahllose Privatkarossen und Wohnmobile mischen. Stundenlang wälzt sich die kilometerlange Blechlawine zu Tal, den letzten Rest an Radsport-Romantik unter sich begrabend. An diesen Tagen erstickt die Tour an sich selbst. Da tut gerade der abendliche Blick in die Natur wohl. Wenn nur die nächste Bergankunft nicht wäre . . .