Tour de France: Regisseur Pepe Danquart über seinen Film “Höllentour“ und die Faszination des Irrsinns

ABENDBLATT: Herr Danquart, wann sind Sie zuletzt Rad gefahren?

PEPE DANQUART: Ich fahre viel mit dem Cityroller durch Berlin. Früher in Freiburg bin ich fast täglich mit dem Mountainbike gefahren. Aber auf einem richtigen Rennrad habe ich noch nie gesessen.

ABENDBLATT: Was hat Sie dann bewogen, einen Film über die Tour de France zu drehen?

DANQUART: Die Anregung kam durch WDR-Intendant Fritz Pleitgen. Er sagte, in den letzten 50 Jahren hätte sich niemand mehr an diesem Thema versündigt.

ABENDBLATT: Ab morgen wird die Tour wieder stundenlang im TV gezeigt. Bedurfte es da noch eines zweistündigen Films?

DANQUART: Klar habe ich mir anfangs gesagt: 80 Fernsehstationen übertragen dieses Event in mehr als 180 Länder, über Jahrzehnte wurden Tonnen von Filmmaterial belichtet, was machst du hier, wie willst du das fürs große Kino noch toppen? Aber dann reizte mich die andere Perspektive. Mich interessierte nicht der Kampf um die Spitze, sondern der Fahrer X, der sich mit seinen einsamen Tränen im Besenwagen wiederfindet. Mir waren die Leiden wichtiger als die Triumphe, die Verlierer wichtiger als die Sieger. Und nicht zuletzt ging es mir um eine Innenansicht der Tour aus dem Blickwinkel eines Teams, die wahnsinnige Komplexität des Rennens mit 4500 Leuten und 2500 Fahrzeugen, die gewaltige Logistik.

ABENDBLATT: In Ihrem Film scheint die Tour weniger bunt, als im Fernsehen. War das gewollt?

DANQUART: Klar, ist die Tour durch die Teamtrikots, die Werbekarawane, die Schriftzüge der Sponsoren sehr bunt. Das ist für die Videoästhetik des Fernsehens auch okay. Für meinen Focus hatte ich mir überlegt, vielleicht sogar in Schwarz-Weiß zu drehen, aber das war mir dann doch zu radikal. Also habe ich mich für eine aufwendige und teure digitale Nachbearbeitung entschieden. Ich wollte Pastelltöne haben. So entsteht bei manchen Bildern der Eindruck, als seien sie gemalt.

ABENDBLATT: Wenn ein Deutscher einen Radsportfilm dreht, muss dann nicht automatisch Jan Ullrich die Hauptrolle spielen?

DANQUART: Im Gegenteil, ich war froh, dass Ullrich im Vorjahr nicht zum Magenta-Team gehörte. Meine Protagonisten sollten Menschen sein, die mich nicht nur durch ihre sportliche Leistung, sondern auch durch ihre Haltung im Leben beeindrucken. In Deutschland wird Sport immer nur an Personen festgemacht. Aber Ullrich kann trotz seines außergewöhnlichen Talents nur dort sein, wo er ist, weil er Helfer hat wie eben Rolf Aldag oder Erik Zabel. So spielt Ullrich in Höllentour eher eine Nebenrolle. Natürlich zeige ich das finale Duell gegen Armstrong im Zeitfahren. Und wenn Erik Zabel über seinen Kapitän sagt, bei ihm höre es da auf, wo es bei Ullrich erst anfange, dann zeigt das auch menschliche Größe bei Zabel, der ja selbst ein Star ist.

ABENDBLATT: Sie sind den Fahrern sehr nahe gekommen, durften ihnen bis ins Badezimmer und sogar ins Allerheiligste, den Teambus, folgen. Warum waren diese intimen Momente so wichtig?

DANQUART: Für mich ist ein emotionaler Höhepunkt, als Aldag und Zabel nach dem zweiten Zeitfahren da in dem kleinen Käfig hocken und vor Erschöpfung fast zusammenbrechen. Es ist die Veralltäglichung des Mythos von den Tourhelden. Die Szene zeigt, dass sie auch nur Menschen sind wie du und ich, die verletzbar sind, die leiden, die Hoffen und Bangen wie wir. Oder wie Rolf Aldag sich im Bett mit leuchtenden Augen seine Bergtrikots anschaut wie ein Kind das langersehnte Fahrrad zu Weihnachten. Das macht ihn sehr nahbar und menschlich. Jemand hat gesagt, der Film mache auch Mut. Wie die Radprofis Probleme und Strapazen überwinden, kann das auch jeder andere.

ABENDBLATT: Wie lange hat es gedauert, bis die Fahrer diese Nähe zugelassen haben?

DANQUART: Zwei Jahre habe ich mit ihnen verbracht. Am Anfang war viel Skepsis. Natürlich hat mir meine Reputation geholfen und auch die Fürsprache von Fritz Pleitgen. Es ist ein besonderes Verhältnis entstanden, eine Art gegenseitiger Respekt. Irgendwann haben die Jungs einfach vergessen, dass da Kameras waren, die sie auf Schritt und Tritt beobachtet haben.

ABENDBLATT: Sie zeigen auch, wie die Rennfahrer unterwegs ihre Notdurft verrichten.

DANQUART: Wie das mit dem Pinkeln funktioniert, hat sich doch jeder mal gefragt. So ist es mir schon früher bei den Winnetou-Filmen gegangen. Da reitet er stundenlang mit Old Shatterhand durch die Wüste, aber nie hat man sie pinkeln gesehen. Außerdem kannst du nicht immer nur das schiere Leiden zeigen. So ein Film braucht auch komische Momente. Und die Pinkelszene ist im Kino jedes Mal ein Lacher.

ABENDBLATT: Wie hat Ihren Haupthelden der Film gefallen?

DANQUART: Erik Zabel hat gesagt, der Film zeige den Radsport in einer neuen Dimension, weil er die menschliche Leistung offenbare. Insofern hätte ich ihnen das entgegengebrachte Vertrauen voll zurückgezahlt. Und auch den Kinobesuchern gefällt der Film. Anfangs wollte keine Kette Höllentour ins Programm nehmen. Doch dann hat es massenhaft E-Mails gegeben, wann der Film endlich zu sehen sei. In der zweiten Woche schaffte er den Sprung in die Top Ten - für einen Dokumentarfilm außergewöhnlich.

ABENDBLATT: Sehen Sie die Tour jetzt mit anderen Augen?

DANQUART: Das, was die Fahrer leisten, ist wie eine Allegorie aufs Leben. Denn jeder durchlebt ja Momente der Schwäche und des Zweifels wie Momente des Glücks, des Triumphes, im Beruf wie im Privaten. Für mich ist jeder Fahrer, der Paris erreicht, ein Sieger, ein Held. Das wird über den sehr einseitigen TV-Focus auf die Gewinner oft vergessen.

ABENDBLATT: Spielt deshalb das Thema Doping keine Rolle? Kritiker bemängeln an Ihrem Film eine gewisse Distanzlosigkeit?

DANQUART: Dann haben sie ihn nicht verstanden. Sie sollen den Film beurteilen, den sie sehen und nicht den, den sie aus diesem Thema gemacht hätten. Ich bin kein investigativer Journalist, sondern ein filmischer Erzähler. Ich rede nichts herbei, was ich nicht sehe. Hätte ich bei der Tour 98 gedreht, wäre Doping ein Thema gewesen. Über die ständige Jagd nach neuen Enthüllungen wird die Größe und Schönheit dieses Sports allzu oft vergessen.

ABENDBLATT: Wer gewinnt die Tour in diesem Jahr?

DANQUART: Ich halte T-Mobile für stark genug, Jan Ull-rich die nötige Unterstützung zu geben. Dass er selbst absolut bereit ist, hat ja jeder gesehen. Interview: LUTZ WAGNER