Sportmedizin: Um mit harmonischen Bewegungen durchs Leben zu gehen, muss die Koordination stimmen.

Mit dem linken Bein zuerst aufgestanden - so fangen Tage an, an denen alles schief geht. So zerschellt schon morgens die Kaffeetasse auf dem frisch geputzten Fußboden, mittags in der Kantine landet die Tomatensoße auf dem neuen Pullover, und abends stößt man sich womöglich noch beim Einsteigen ins Auto empfindlich den Kopf. Im allgemeinen Sprachgebrauch würde man so etwas Schusseligkeit nennen, Fachleute sprechen von schlechter Koordination.

Glücklicherweise vergehen auch solche Tage. Und der Körper gehorcht wieder den Befehlen des Gehirns, die das feine Zusammenspiel unserer Muskeln steuern. Das geschieht in der Regel, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen. "Wenn wir länger auf einem Stuhl sitzen, schieben wird uns immer wieder in eine andere Sitzposition. Der Körper sendet Signale ans Gehirn, die melden: Das ist jetzt zu anstrengend, setz dich anders hin", erklärt Dr. Michael Plötz, Allgemeinmediziner, Arzt für chinesische Medizin und Taijiquan- und Qigong-Lehrer.

"Neben Ausdauer und Kraft ist die Koordination entscheidend dafür, dass wir mit runden, harmonischen Bewegungen durchs Leben gehen können", sagt Plötz. "Eine schlechte Koordinationsfähigkeit zeigt sich in unharmonischen Bewegungsmustern, zum Beispiel mit abgehackten Bewegungen. Oder es gibt Menschen, die beim Gehen den Kopf so weit nach vorn beugen, dass der Eindruck entsteht, sie würden gleich vornüberfallen. Um dann noch geradeaus gucken zu können, müssen sie den Kopf weit in den Nacken legen. Die Folge ist, dass sich die Nackenmuskulatur extrem verkürzt." Den Körper in einem gesunden Gleichgewicht zu halten, gehört ebenso zu einer guten Koordination wie die Fähigkeit, mit der rechten Hand etwas anderes zu tun als mit der linken. "Es bringt viele Menschen schnell an die Grenzen, mit links und rechts unterschiedliche Dinge zu tun, zum Beispiel mit der linken Hand die Brust zu reiben und mit der rechten gleichmäßig auf einen Tisch zu klopfen."

Und wer sich koordiniert bewegt, spart Kraft: "Das ist die Ökonomie in der Bewegung. Der richtige Schwung vermindert den Kraftaufwand. Wer einen Ball richtig weit werfen will, braucht nicht nur Kraft, sondern auch die richtige Technik, den Schwung, der daraus entsteht. Ein anderes Beispiel: Wer einen Schraubenzieher zur Hand nimmt und kein Gefühl für die Schraube hat, dreht sie über, nur mit Kraft."

Wer sich also im Alltag koordiniert bewegt, hat mehr Energie für andere Dinge - und reduziert seine Verletzungsgefahr. "Bei Menschen, die Stürze nicht elastisch abfedern können, geht die gesamte Wucht des Aufpralls in die härteste Struktur, den Knochen. Wird dessen Biegungsfähigkeit überschritten, bricht er. Das Auffangenkönnen des eigenen Körpergewichtes während eines Sturzes, sich mit unerwarteten Situationen auseinander setzen, ist eine Sache von Koordination", so Plötz. Und Koordination kann man trainieren.

Doch wer dabei gleich einen Seiltänzer vor Augen hat, der gleichzeitig auch noch drei Bälle jongliert, wird schnell frustriert sein und den Spaß daran verlieren. "Der einfachste Weg, Koordination zu steigern, ist, langsam in seine Bewegungen hineinzufühlen und neue Bewegungsmuster zu üben. Und je öfter ich eine Bewegung wiederhole, umso feiner wird sie. Langsamkeit und Wiederholung führen dazu, dass die neuen Bewegungsmuster sozusagen in Fleisch und Blut übergehen."

Wer zum Beispiel Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht hat und zu Plötz in die Praxis kommt, wird auf ein Kippelbrett gestellt, mit einem Geländer drumrum, an dem er sich abstützen kann. "Er wird lernen, wenn er nur einen Tick zu schnell in eine Richtung gegenspannt, dass ihn diese Kraft sofort in die andere Richtung wieder zurückzieht. Dadurch kommt das Wanken zu Stande."

Auch Hilfestellungen durch einen kompetenten Anleiter sind wichtig. "Wenn jemand Schwierigkeiten hat, den Arm über die Schulterebene zu heben, dann macht es Sinn, ihm zu helfen und ihm die Hand auf die Schulter zu legen, ihm sozusagen spürbar zu machen, an welcher Stelle er sich falsch bewegt. Solche Reize von außen können sehr hilfreich sein."

Wer wirklich auf Dauer Erfolg haben will, braucht Geduld und sollte sich bei dem Koordinationstraining auch nicht überfordern. "Wenn es zu viel wird, können Sie sich nicht mehr konzentrieren, und Ihre Koordinationsfähigkeit lässt nach." Plötz empfiehlt, anfangs zweimal die Woche unter kompetenter Anleitung und täglich zudem zu Hause zu üben, möglichst 20 Minuten. "Aber das hängt auch davon ab, wie diese Übungen in den Alltag einzubauen sind", sagt Plötz. Denn wenn das nicht gelingt, lässt der Spaß daran ganz schnell nach - die Hauptvoraussetzung dafür, dass das Training auch dauerhaft durchgehalten werden kann. Und es muss ja keiner gleich zum perfekten Bewegungskünstler werden: Auch mit ein bisschen Schusseligkeit kommt man ganz gut durchs Leben.