In Russland ist es kalt, das Kaff, in dem Sascha Goldberg wohnt, heißt “Asbest 2“. Weil es schon ein “Asbest 1“ gibt. Hier wird Asbest hergestellt,

In Russland ist es kalt, das Kaff, in dem Sascha Goldberg wohnt, heißt "Asbest 2". Weil es schon ein "Asbest 1" gibt. Hier wird Asbest hergestellt, und die Sowjetunion zerfasert bereits. Sascha ist Jüdin und hat farbige Vorfahren. Ihr Vater verlässt die Familie, zieht in die USA. Und Sascha bleibt allein zurück mit ihrer herrschsüchtigen Mutter. Zunächst, dann geht sie auch in die USA. Dort bleibt sie Außenseiterin.

Die 1973 in Moskau geborene Autorin Anya Ulinich hat das Schicksal der jungen Russin Sascha beschrieben. Für "Petropolis oder Die große Reise der Mailorder-Braut Sascha Goldberg" ist sie ausgezeichnet worden, sie gilt als eine der talentiertesten zeitgenössischen Autorinnen in Amerika. Ihre eigenen Erfahrungen in der Diaspora verarbeitet Ulinich in "Petropolis", aber es ist vor allem ein Buch über die Familienbande, der man nicht entkommen kann, und Außenseitertum, das die sprachmächtige und psychologisch versierte Beobachterin geschrieben hat. Herzzerreißender und lustiger als hier ist lange nicht mehr erzählt worden, und die Wahrheiten hinter allen Menschen und Beziehungen schmerzen umso mehr, je leichter hingeworfen und aberwitzig die Szenen sind. Am Ende ist Sascha in Amerika angekommen, aber sie hat ihre Eltern verloren. "Petropolis" ist eine Parabel auf das Erinnern, wer so viel zu erinnern hat wie Sascha, muss ein reich beschenkter Mensch sein, trotz aller Verluste.


Anya Ulinich: Petropolis. Die große Reise der Mailorder-Braut Sascha Goldberg, dtv, 420 S.,14,90 Euro.