Johannes Paul II. Er war ein Kämpfer und Versöhner. Er war mutig und umstritten. Nach einem rastlosen Leben wird er nun “eine Ewigkeit Zeit haben, auszuruhen“. Der Papst ist tot.

Hamburg. Er war der Apostel unserer Epoche: ein unbeugsamer Prophet göttlicher Wahrheit auf Pfaden weit oberhalb aller Weisheiten des Zeitgeistes, ein rastloser Mahner zum Guten in einer schwierigen Welt und geduldiger Märtyrer jahrelanger Schmerzen wie jahrzehntelanger Anfeindungen. Er war ein Heiliger des Herzens, höchste moralische Autorität, gewichtigste Stimme des Menschheitsgewissens und einsamer Rufer in der Wüste des Egoismus. Er befreite die Seinen wie Moses aus Unterdrückung und Gottlosigkeit, widersprach der brutalen Macht furchtlos wie Johannes der Täufer, setzte wie Petrus für die Kirche sein Leben ein und kämpfte für Gott wie Paulus nach dem Blitz vor Damaskus.

Papst Johannes Paul II. siegte über die Vergangenheit der europäischen Nachkriegsordnung und gewann in den kritischen Köpfen der Jugend die Zukunft. Sein Leben war eine Pilgerfahrt in jene Tiefen der Seele, die dem Zweifel des Verstands verschlossen bleiben. "Wer ist DIESER, der Namen-lose?" meditierte er in seinem "Römischen Triptychon" über seinen Gott, "Er war der andere. Allem völlig unähnlich, was der Mensch über IHN zu denken fähig war."

Wie alle Propheten gebar ihn das Leben in unauffällige Normalität, am 18. Mai 1920 kam er in Wadowice südwestlich von Krakau zur Welt. Sein Vater war Schneider und wurde Offizier der österreichischen, später der polnischen Armee, seine Mutter, die ihren Sohn "Lolek" rief, war litauischer Abstammung und starb, als der Junge acht Jahre alt war. Der kleine Karol Jozef Wojtyla verlor auch beide Geschwister: Die jüngere Schwester starb gleich nach der Geburt, der 14 Jahre ältere Bruder Edmund, Arzt im Krankenhaus in Bielsko, infizierte sich 1932 mit Scharlach. Als 1941 auch der Vater starb, war Karol allein.

Gott läutert durch Leiden, aber er will, daß seine Geschöpfe das Leben lieben, das er ihnen schenkt. Karol Wojtyla war ein guter Sportler und liebte die Schauspielerei, blieb seinem Experimental-Theater "Studio 38" auch im Untergrund treu. In den ersten Kriegsjahren aber fand er durch den frommen Schneider Jan Tyranowski in den geheimen Gebetskreis des "lebendigen Rosenkranzes", und im Oktober 1942 entschied sich der Philosophiestudent für die Theologie, am Krakauer Priesterseminar, das zu dieser Zeit ebenfalls im Untergrund arbeitete. 1946 empfing er die Priesterweihe.

Nach Jesu Kreuzestod gewann seine junge Kirche ihre Kraft aus der Verfolgung, und das blieb auch später so, bis in unsere Zeit der Kolbe, Bonhoeffer oder Edith Stein. Hier finden sich Gründe für die Unbeugsamkeit, die den späteren Papst schon damals prägte. Er promovierte über katholische Ethik und lehrte Ethik als Professor. Als Erzbischof von Krakau seit 1964 widmete er sich Fragen der "Anwesenheit der Kirche in der modernen Welt", hielt sich aber aus der Tagespolitik heraus, um den Kommunisten keine Angriffsfläche zu bieten. Er war Seelsorger, nicht Dissident.

Die Wahl des 58jährigen im Oktober 1978 zum ersten nichtitalienischen Papst seit dem Holländer Hadrian VI. (1522) war eine Weltsensation. Es war die Zeit des Kalten Krieges, fast überall im Ostblock gingen Staatsorgane gegen Bürgerrechtler vor. Schon die zweite Reise führte den neuen Pontifex in die polnische Heimat. Sein persönlicher Kreuzweg begann mit dem Kampf für die Freiheit gegen den Kommunismus. Von diesem Kreuzweg bleiben mächtige Bilder im Menschheitsgedächtnis zurück.

Der Pilger. Kein anderer Papst unternahm so viele Reisen zu den Gläubigen seiner Kirche (102 Auslandsbesuche), kein anderer auch wagte soviel Dialog mit der spirituellen Konkurrenz von Moskau bis Mekka. Die fast mystischen Momente, in denen er die Erde der besuchten Länder küßte, schenkten der Gegenwart einige ihrer prägenden Symbole. Nicht weniger bewegend die Bilder des Papstes vom Berg Nebo in Jordanien, von dem Moses einst auf das Gelobte Land blickte.

Der Märtyrer. Die Schüsse auf den Papst am 13. Mai 1981 auf dem Petersplatz erschütterten die Welt. Der 23 Jahre alte, vermutlich vom bulgarischen Geheimdienst angeworbene Türke Mehmet Agca schuf durch seine Kugeln das Bild des leidenden, des schmerzensreichen Papstes als Opfer tödlicher Tyrannengewalt, verstärkt noch durch jene Szene, in der das Opfer dem Täter verzieh.

Der Apologet. Als Verteidiger des katholischen Glaubens geriet Papst Johannes Paul II. gewollt und gewappnet ins Kreuzfeuer säkularisierter Welt- und Scheinmoral. Besonders sein kompromißloses Eintreten für von Abtreibung bedrohtes ungeborenes Leben machte ihn zur Haßfigur jener politischen Strömungen, denen das eigene über das fremde Wohl geht ("Mein Bauch gehört mir"). Seine Ablehnung der Pille ließ auch Gläubige zweifeln, die in der Geburtenkontrolle das wirksamste Mittel gegen die Bevölkerungsexplosion sehen. Die Spaßgesellschaft verhöhnte die Forderung des Papstes, daß die unverzichtbare Voraussetzung für Sex die Liebe sei und diese Liebe auch immer für das Kind offen sein müsse.

Der Freiheitskämpfer. Die wütende Propaganda gegen die Einmischung des Papstes in politische Fragen verriet ein gutes Gespür für die Gefahr, die dem Kommunismus aus wahrhafter christlicher Ethik drohte: Noch verletzender wurde nur US-Präsident Ronald Reagan geschmäht. Aber diese beiden, der "erzkonservative Katholik" und der "schießwütige Cowboy", brachten das "Reich des Bösen" zum Einsturz: der eine, indem er Polens "Solidarnosc" stützte, der andere durch das Raketensystem SDI. Beide erreichten das gemeinsame Ziel ohne Gewalt.

Der Theologe. Die Vorliebe der Medien für das Diesseitige drängte die rastlose geistliche Arbeit des Papstes in den Hintergrund, aus seinen Enzykliken wurde meist nur zitiert, was seine Kritiker anstößig fanden - oft, weil sie es schlicht nicht begriffen. Doch kam die katholische Kirche dank Johannes Paul II. auf ihrem Weg durch die Zeit auch theologisch ein gutes Stück voran. Der Katechismus von 1993 bietet Katholiken in aller Welt Orientierung in geistlichen, aber auch in weltlichen Fragen. Der Papst förderte auch die Marienverehrung und das Rosenkranzgebet.

Der Versöhner. Kaum ein anderer Papst setzte sich so für den Frieden zwischen den Religionen ein, keiner brachte so viele Würdenträger anderer Glaubensgemeinschaften an einen Tisch: Zum interkonfessionellen Friedensgebet Ende Oktober 1986 kamen auch der Dalai-Lama, der anglikanische Erzbischof von Canterbury, der orthodoxe Metropolitan von Kiew, der Rabbi von Rom, ein muslimischer Theologe aus Libyen und ein indianischer vom Stamm der Crow. Im Januar 2002 erklärte Johannes Paul II. zum Angriff auf das World Trade Center gemeinsam mit Religionsführern der Hindus, Sikhs, Jain, Bahai, Juden und Moslems, daß niemals im Namen Gottes Gewalt ausgeübt werden dürfe. Als erster Papst betete er an der Klagemauer und, in Damaskus, in einer Moschee.

Der Historiker. Auch gegenüber der Geschichte blieb Johannes Paul II. nicht stumm, fand als erster Papst Worte der Entschuldigung für die von Kirchenleuten früherer Jahrhunderte verübten oder geduldeten Verbrechen und rehabilitierte den einst als Ketzer verfolgten Galileo Galilei.

Der Heiligsprecher. Nie zuvor erhob ein Papst so viele Tote zur Ehre der Altäre. Vielzahl und Vielfalt der Heiligen bezeugen einen tiefen Glauben an die Wunderkraft des Glaubens auch in unserer Zeit. Auch ließ Johannes Paul II. nie einen Zweifel daran, daß es die Gottesmutter war, die ihn das Attentat überleben ließ: Die Kugel, die seinen Bauch durchquerte, wich den lebenswichtigen Organen in so wundersamen Kurven aus, daß sein Chirurg meinte, das habe nur eine höhere Hand lenken können.

Der Pazifist. Stets wandte der Papst sich rigoros gegen Krieg und Gewalt, zuletzt beim Einmarsch im Irak. Als höchste moralische Instanz des Weltgewissens prangerte er aber auch Terror und Unterdrückung, Menschenrechtsverletzungen und die Verschuldung armer Länder an.

Als der Papst schwächer und schwächer wurde, forderten auch Wohlmeinende den Rücktritt, aber er sagte: "Der liebe Gott wird schon wissen, wann er mich abberuft." Und auf die Frage "Heiliger Vater, ruhen Sie denn nie aus?" erwiderte er: "Ich werde eine Ewigkeit Zeit haben, auszuruhen."