Plünderer: In Bagdad verschwanden unwiederbringliche Kunstschätze. Kultur-Experten und FBI reisen zur Spurensuche in den Irak. Warum wurden die Museen nicht geschützt?

Paris/Hamburg. Experten sprechen von einer vorhersehbaren Katastrophe: Im Irak-Krieg wurde ein Teil des kulturellen Erbes der Menschheit zerstört, ein anderer Teil geriet in die Hände skrupelloser Kunst-Dealer. Drei Kulturberater von US-Präsident George W. Bush traten aus Protest gegen die Untätigkeit der US-Streitkräfte vor Ort zurück. Doch die Plünderungen beschränken sich nicht nur auf das Kulturelle: Nachdem Diebe wiederholt versuchten, Banken in Bagdad auszuräumen, beschlagnahmen jetzt US-Soldaten die Depots der Geldinstitute in der irakischen Hauptstadt. Ein Oberstleutnant, dessen Soldaten säckeweise Geld aus dem Keller einer Bank schleppten, bestätigte, die US-Armee habe bereits die Bestände von sechs Geldinstituten eingesammelt, um Plünderungen der Depots zu verhindern. Gravierender ist jedoch der Schaden an der uralten irakischen Kultur. Angesichts der Verwüstungen in Bagdad und an der Wiege der Menschheit im Zweistromland herrscht bei der Unesco hektische Betriebsamkeit. Kurzfristig hat der japanische Chef der UNO-Kulturorganisation, Koichiro Matsuura, 30 Kunst-Experten zusammengetrommelt. Mit einem Aktionsplan will er größeres Unheil verhindern. "Seit dem Zweiten Weltkrieg", steht für den britischen Archäologen Alex Hunt schon jetzt fest, habe es "keine Plünderung von diesem Ausmaß" gegeben. Auch die sumerische Vase aus Uruk und die silberne Leier aus Ur - zwei Kulturschätze von unschätzbarem Wert - sind spurlos verschwunden. Im Irak gehe es um "die Wiege der modernen Zivilisation" sowie die "kulturelle Identität" der Menschheit, unterstreicht Matsuura. Daher verlangte er von Amerikanern und Briten energisch Anstrengungen für den Schutz der Kulturstätten, richtete einen Irak-Sonderfonds ein und entwarf einen UNO-Beschluss über ein befristetes Verbot des Erwerbs von Kunstschätzen aus dem Irak. Rasch soll eine Mission vor Ort geschickt werden, um ein genaues Inventar der Zerstörungen zu erstellen. Zudem soll eine Polizeieinheit aufgestellt werden, um die Diebstähle aufzuklären. In Washington schrillen nun auch die Alarmglocken. Die US-Bundespolizei FBI schickte Ermittler nach Bagdad. Auch die internationale Polizeibehörde Interpol hat sich bereits eingeschaltet. Interpol bildete eine Sondereinheit, die Plünderer und ihre Beute aufspüren soll. Die Beamten sollen so rasch wie möglich nach Bagdad reisen. Die Szenen der Verwüstung sind schockierend. Allein das Nationalmuseum in Bagdad hütete einen Schatz von rund 170 000 Kunstgegenständen aus Mesopotamien, wo vor fünf Jahrtausenden die Reiche der Sumerer, Babylonier und Assyrer entstanden. "Die US-Panzer standen vor dem Haupteingang, als die Plünderer durch einen Nebeneingang eindrangen", schildert der irakische Archäologie-Professor Muadsched Said el Damergi die dramatischen Stunden. Dutzende Plünderer wüteten in den Ausstellungsräumen. Die Amerikaner hätten "absolut nichts unternommen", erklärt Damergi. "Wenn das Ölministerium geschützt wird, das Archäologische Museum aber nicht, zeigt das die Haltung der Koalition zum kulturellen Erbe", bemerkt auch der Brite Alex Hunt. Martin Sullivan, der Vorsitzende der amerikanischen Beratungskommission für Kulturgut, trat zusammen mit zwei Kollegen zurück. Er erklärte: "Wegen der Untätigkeit unserer Nation konnte die Tragödie nicht verhindert werden." Präsident Bush habe die moralische Verpflichtung gehabt, dies zu vermeiden. Er habe jedoch nicht auf die Ratschläge der Wissenschaftler gehört. Auch Professor McGuire Gibson von der Universität Chicago äußerte sich auf einer UnescoKonferenz in Paris enttäuscht. Er habe das Militär vor dem Krieg auf die Gefahren hingewiesen, doch hätten die Streitkräfte wohl "andere Prioritäten" gehabt.