US-Panzer rollen auf Grenze zu. Und angeblich gibt es erste irakische Überläufer.

Bagdad/Washington. Kurz vor Ablauf des US-Ultimatums an den irakischen Diktator Saddam Hussein hat gestern eine Massenflucht aus dem Irak eingesetzt. Während in Kuwait lange US-Panzerkolonnen auf die irakische Grenze zurollten, flohen im Norden des Irak Zehntausende Kurden aus den Städten. Auch die reichen Viertel der Hauptstadt Bagdad glichen einer Geisterstadt. Wer genug Geld hat, brachte seine Familie aufs Land in Sicherheit. Überall blieben Geschäfte geschlossen, auf den Straßen fuhren nur wenige Autos. Um 2 Uhr in der vergangenen Nacht lief das US-Ultimatum ab. Bis dahin sollte Saddam Hussein das Land verlassen. Saudi-Arabien drängte ihn gestern erneut dazu. Bahrain bot ihm eine Aufnahme an. Doch der Diktator lehnte wieder ab. Die USA und ihr wichtigster Verbündeter Großbritannien ließen ihre etwa 280 000 Soldaten im Krisengebiet in Stellung gehen. Der Kommandeur der 3. Infanteriedivision, Generalmajor Bunford Blount, gab 20 000 Soldaten und 1000 Panzern den Befehl, in die entmilitarisierte Zone zwischen Kuwait und Irak einzurücken. Es wird erwartet, dass die 3. Infanterie-Division zu den ersten Einheiten gehört, die sich an einem Einmarsch in den Irak beteiligen. Vermutlich werden sie dabei von Soldaten der 101. Luftlandedivision unterstützt, die vor einer Ankunft der Infanterietruppen Verteidigungsstellungen der irakischen Streitkräfte einnehmen sollen. Die Londoner Zeitung "Evening Standard" berichtete am Abend von ersten heftigen Gefechten bei der Landung von britischen und amerikanischen Amphibienfahrzeugen an der irakischen Küste. Spezialeinheiten seien zudem tief in den Irak eingedrungen, um Pisten für Luftlandetruppen vorzubereiten. Eine Quelle nannte die Zeitung nicht. Der Sprecher von US-Präsident George W. Bush, Ari Fleischer, bereitete die Amerikaner auf mögliche Tote vor: "An der Schwelle zum Krieg gegen den Irak sollten die Amerikaner wissen, dass wir hoffen, einen so präzisen und kurzen Konflikt als möglich zu haben. Die Amerikaner müssen aber auf den Verlust von Menschenleben vorbereitet sein." Noch vor dem Beginn des Großangriffs begingen nach Meldungen des amerikanischen Nachrichten-Senders CNN die ersten 17 irakischen Soldaten Fahnenflucht. Sie sollen im Norden Kuwaits zur US-Armee übergelaufen und der kuwaitischen Polizei übergeben worden sein. Die Nachricht über eine angebliche Flucht des irakischen Vize-Regierungschefs Tarek Asis stellte sich dagegen als Falschmeldung heraus. Asis gab am Abend in Bagdad eine Pressekonferenz, auf der er ankündigte, für sein Land zu kämpfen. Das Kurdenparlament im Norden des Irak verhängte den Ausnahmezustand für die Region. Der Norden Iraks mit den Ölfeldern um Kirkuk und Mossul steht seit dem Golfkrieg 1991 unter dem Schutz der USA und Großbritanniens und ist praktisch unabhängig. Die Kurden wollen ihre 70 000 Kämpfer im Kriegsfall unter US-Kommando stellen. Bei der vermutlich letzten Sitzung des UNO-Sicherheitsrates vor einem Krieg zeigte sich UNO-Chefwaffeninspekteur Hans Blix enttäuscht darüber, dass er seine Arbeit im Irak nicht fortsetzen kann. Er empfinde "Trauer" darüber, dass seine dreieinhalbmonatige Tätigkeit nicht die nötige Gewissheit über das Fehlen verbotener Waffen gebracht habe. An der Sitzung nahmen unter anderem Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne), sein französischer Kollege de Villepin und der russische Chefdiplomat Iwanow teil. US-Außenminister Powell und sein britischer Kollege Straw blieben der Konferenz fern, weil sie "abgekoppelt von der Realität" sei. Fischer sprach von einer "bitteren Stunde". In Berlin sagte Bundespräsident Johannes Rau, niemand in Deutschland habe diesen Krieg gewollt. Es sei aber Aufgabe der Politik, "den Bürgern deutlich zu machen, dass dieser Krieg keine unmittelbare Bedrohung" für Deutschland darstelle.