Serie: Deutschlands Nationalparks - Teil 1: Die Schutzgebiete an Nord- und Ostsee. In drei Folgen stellen wir die schönsten geschützten Landschaften vor. So erstreckt sich an der Nordsee ein weltweit einzigartiger Lebensraum: das Wattenmeer.

Wohl kein anderer deutscher Naturraum ist so wechselhaft wie das Wattenmeer. Es wandelt sein Aussehen nicht nur mit den Jahreszeiten, sondern zweimal täglich: Bei Hochwasser liegen die Inseln und Halligen wie grüne Perlen im Meer. Bei Niedrigwasser sind einige von ihnen zu Fuß erreichbar, auf einem Spaziergang über den Meeresboden.

Das Nordsee-Watt erstreckt sich vom niederländische Den Helder bis zum dänischen Esbjerg und ist in seiner Größe weltweit einzigartig. Der deutsche Abschnitt beherbergt gleich drei Nationalparks: das Schleswig-Holsteinische, Hamburgische und Niedersächsische Wattenmeer.

Sandstrand und Dünen, Schlickflächen und Salzwiesen bieten vielfältige Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Das heimliche Wappentier mag der Seehund sein, von dem mehr als 10 000 Exemplare das deutsche Wattenmeer bevölkern. Bei Ausflügen zu Seehundbänken lassen sich die Tiere beobachten, wenn sie sich am Strand ausruhen. Wer ihnen und ihren weit größeren Verwandten, den Kegelrobben, noch näher kommen möchte, sollte die Helgoländer Düne besuchen: Oft aalen sich dort Dutzende Kegelrobben in der Sonne, nicht selten mischen sich Seehunde in die Gruppe. Die Robben lassen sich durch neugierige Zweibeiner kaum stören - zumindest, wenn diese sich ihnen von der Landseite und nicht am Meeressaum entlang nähern und den Fluchtabstand von etwa 30 Metern einhalten.

Selbst Wale leben in den Nationalparks, jedoch sehr kleine: Schweinswale, auch Kleine Tümmler genannt, werden nur etwa 1,60 Meter lang. Um die 264 000 Exemplare bevölkern die gesamte Nordsee; die Nationalpark-Gewässer westlich der Inseln Sylt und Amrum sind eines der bevorzugten Gebiete. Mit etwas Glück sind sie von Schiffen aus zu entdecken, wenn die kleinen schwarzen Rückenflossen aus dem Meer auftauchen. Zwar ist die "Schweinsfischjagd" Ende des 19. Jahrhunderts erloschen. Dennoch sterben heute viele Tiere durch den Menschen: Alljährlich ertrinken um die 7000 Schweinswale in Stellnetzen insbesondere der dänischen Kabeljaufischerei.

Der hochproduktive, dichtbesiedelte Wattboden ist ein Paradies für Wasser- und Watvögel. Etwa zehn Millionen von ihnen legen während des Vogelzuges im Frühjahr und Herbst hier eine Rast ein, um sich mit Würmern, Muscheln, kleinen Krebsen und Schnecken die Bäuche vollzuschlagen und so Energie für den Weiterflug zu tanken.

Auch im Sommer ist das reichlich gedeckte Meeresbüfett stark nachgefragt. Etwa eine Million Vögel brüten hier - Möwen und Seeschwalben, Säbelschnäbler und Regenpfeifer, Löffler und Austernfischer. Der Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer, das mit 13 750 Hektar mit Abstand kleinste der drei Schutzgebiete, ist ein Magnet für Seeschwalben: Auf der Insel Scharhörn und der 1989 künstlich aufgespülten Düneninsel Nigehörn liegt eine der größten deutschen Seeschwalben-Kolonien, hier brüten bis zu 10 000 Vögel.

Wer Wermut nur im Trinkglas kennt, kann sich die entsprechende Pflanzengattung, den Strand-Beifuß, an der Nordseeküste live ansehen und ihren intensiven Duft wahrnehmen. Die graugrüne, strauchartige Pflanze wächst in Salzwiesen jenseits der Deichlinie. Sie wird regelmäßig mit Meerwasser umspült. Gerade an diesen Übergängen von Land und Meer leben botanische Spezialisten.

Normalerweise können Landpflanzen Salzwasser nicht vertragen. Einige wenige Gewächse (Halophyten) haben jedoch besondere Mechanismen entwickelt, um am Meeressaum zurechtzukommen: Die Bottenbinse filtert das Salz schon bei der Nährstoffaufnahme heraus. Andere Pflanzen speichern es in den Blättern und werfen diese dann ab. Am weitesten Richtung seewärts wagt sich der Queller. Er lagert als Ausgleich zum aufgenommenen Meersalz Kochsalz, Zuckerverbindungen und organische Säuren in seine Zellen ein. Dadurch kann er aus dem Meeresboden Wasser aufnehmen. Wer ein Stück von den fleischigen Stengeln der weitgehend blattlosen Pflanze probiert, hat gleich das Dressing mit dabei.

Der Überlebenskünstler hat sich natürlich auch auf den immerwährenden Wandel seines Lebensraums eingestellt - er läßt sich zweimal täglich komplett überfluten, ohne Schaden zu nehmen.