Was macht man auf einem Forschungsschiff, wenn man kein Wissenschaftler ist? Telegramm eines Tages auf der “Meteor“.

N 01° 00' 00.00" / W 023° 00' 00.00". Die Welt für mich in einer Stecknadel auf dem Atlantik: 97,50 Meter Länge, 16,50 Meter Breite, 46,40 Meter Höhe

+++

05:45 Uhr: Mein „iPod“ summt über der Bettlampe. Die Melodie der Weckfunktion heißt doch tatsächlich „Schachmatt“.

+++

05:50 Uhr Bert aus der Sesamstraße, den mein Sohn vor der Abreise in meine Tasche gesteckt hat, grinst mich wie jeden Morgen fröhlich an.

+++

06:00 Uhr: Es ist einfach zu früh. Verbrenne mich an dem heißen Wasser in der kleinen Duschkabine.

+++

06:10 Uhr: Angezogen und das Bett gemacht: Decke zweimal geknickt, auf dem Kissen herum gehauen, um mein eingestanztes Gesicht wegzuplätten.

+++

06:13 Uhr: Schaue aus dem Fenster. Die Wolken sind noch da, aber langsam beginnt auch die Sonne mit ihrer Arbeit über dem Atlantik.

+++

06:14 Uhr: Die Kameraausrüstung geschnappt und raus aus der Kammer. Ja, es heißt hier wirklich Kammer, keiner sagt Kajüte. Schilderwälder in den Gängen: "Zum 2. Aufbaudeck", "Zum Backdeck" usw. – mittlerweile schon ein gewohnter Anblick.

+++

06:15 Uhr: Die ersten Schiffsbewohner haben mich im Halbschlaf erwischt. Dennoch: Ein freundliches "Guten Morgen" gehört zum guten Ton.

+++

06:15 Uhr und 5 Sekunden weiter: Auf der Brücke. Haye Diecks, der 1. Offizier, hat Mitleid mit mir und bietet einen frisch aufgebrühten Kaffee an.

+++

06:20 Uhr: Da ich zurzeit hauptsächlich Außenaufnahmen für die geplante Sonderausstellung über die "Meteor" im Internationalen Maritimen Museum mache, ist heute das Peildeck dran: Zirkusnummer bei Sonnenaufgang, hoffentlich sieht mich keiner, sonst bekomme ich noch den "Wichtigorden". Einsatz u.a. von zwei Kameras, 3 D-Fotoapparat und Filmkamera. Die vielen Objektive kugeln bei mäßigem Seegang auf einem Deckstuhl.

+++

07:40 Uhr: Weiter zum Arbeitsdeck, liegt nahe am Geolabor. Wissenschaftler bereiten gerade das Auslösen einer Verankerung vor, die CTD wird für Messungen vorbereitet. Treffe auf Besatzungsmitglieder, u.a. Bootsmann Peter Hadamek. Schaue sachkundig über die Reling, als hätte ich Captain Cook mit seiner Endeavour am Horizont entdeckt und denke: "Wenn der jetzt sieht, dass ich ohne Helm hier rumlaufen, schlägt die Stimme des Deckgesetzes voll zu."

+++

07:44 Uhr: Rückzug in das Geolabor, hier ist keine Helmpflicht. Der "Senior Scientist" Jürgen Fischer lächelt mich einfach weg.

+++

07:50 Uhr: Noch immer nichts gegessen. Das Frühstück beginnt eigentlich um 07:30 Uhr. Der 1. Steward, Andreas Wege, bleibt freundlich und ich fühle mich in seiner Messe schon ein wenig Zuhause. Jan Hoppe, der 2. Steward, serviert mit gleicher Freundlichkeit den Kaffee und ist in diesem Moment mein einziger Freund auf diesem Erdball. Aber vielleicht kommt das dicke Ende wegen meiner kleinen Verspätung ja noch.

+++

08:15 Uhr-11:30 Uhr: E-Mails lesen, Texte schreiben, Filmaufnahmen sichten, Daten auf der Festplatte sichern, "work sheet" vom Fahrtleiter studieren, Müll sortieren und raus bringen. Alexander von Humboldt "Es ist ein Treiben in mir" angelesen. vier DIN A 4 Seiten "Neuigkeiten aus der Welt" studiert, die über Satellit an Bord kommen und jeden Tag ausgelegt werden. Natürlich ohne Bilder, die muss man sich im Kopf selber zusammenbasteln. Als bekennender Nachrichtenjunkie und Abonnent diverser Zeitungen für mich eine harte Zeit.

+++

11:31 Uhr: Mittagessen oder "Mahlzeit", wie es hier heißt. Am Buffet wird es kurzzeitig eng. Es gibt Fisch ...

+++

12:02 Uhr: Schiffsarzt Klaus Rathnow hat mich auf der Treppe erwischt. Oh je, bin ihm noch Infos für seine Akte schuldig. Bin zwar gesund, aber meine Blutgruppe, nach der gefragt wird, ist mir völlig unbekannt.

+++

12:02 Uhr-13:55 Uhr: Auf der Brücke ein kurzes Gespräch mit Kapitän Walter Baschek. Recherchiere gerade, in wieweit ich die Entwicklung der Seekarten in die geplante Ausstellung einbinden kann. Kapitän Baschek spricht über seine Heimat Warnemünde, und dass es heute sogar schon möglich sei, seine gelbe Tischdecke auf dem Gartentisch über "Google Earth" zu sehen. Denke: "Schöne Neue Welt, hoffentlich kommt beim Kaffeetrinken nicht irgendwann die Stimme aus dem Off und sagt, in meinem Kaffee wäre zuviel Zucker."

+++

14:00 Uhr-15:00 Uhr: Wissenschaftliches Seminar auf Englisch im Konferenzraum: Verschiedene Forscher stellen ihre Arbeitsgebiete vor. Drehe mit der Kamera die Vorträge. Der Wunderapparat hat einen Gesichtserkennungsmechanismus. Immer wenn jemand lächelt, schießt er ein Bild. Ausbeute: Das Ding hat 32 Mal innerhalb einer Stunde ausgelöst, also sagt mir meine Kamera: Hier ist alles im Lot, "die Wissenschaft" hat noch ein Lächeln für die Welt übrig.

+++

15:04 Uhr-17:29 Uhr: Bild-und Filmaufnahmen. Um diese Zeit ist das Licht am besten. In den Laboren wird mit Hochdruck gearbeitet, um der Materialfülle nachzukommen. Nur die Fußballergebnisse werden wieder nicht kommen. Zuhause in Hamburg schließen sie im Museum jetzt langsam die Türen. Hier auf dem Schiff beginnt der Abend, an dem die wissenschaftlichen Auswertungen nicht ruhen: Nightshift.

+++

17:30 Uhr-18:00 Uhr: Abendessen, aber immer ohne Sicherheitsschuhe! So die Anordnung.

+++

18:00 Uhr-18:45 Uhr: Treffen im Besprechungsraum neben der Messe. Kleine Runde mit einigen Mitgliedern der Besatzung zum Ausklang des Tages. Thema: Ostfriesland. Echte Kenner meiner "zweiten Heimat" die Seeleute, sie lieben das kleine Ländchen an der Küste: "Die Friesische Freiheit" liegt über der "Meteor": Ein begrenztes Land, aber immer stolz auf seine Geschichte. Unsere Grenzen auf See sind die Bordwände, aber das weite Meer, die Freiheit, in der man die Sonne noch schlafen gehen sehen kann.

+++

18:45 Uhr-00:15 Uhr: Vier Wissenschaftler am Tischkicker beobachtet, bei dem Ball hilft das Meer ziemlich gut mit, und die "alte Hasen" unter den Expeditionsteilnehmern wissen natürlich, welche Seite den Ball urplötzlich am besten ins Tor jagt. Die Fußballergebnisse glänzen am Pinboard immer noch mit Abwesenheit und es macht sich Unmut breit. Auf der Brücke bei Nacht: Einer der letzten Orte auf dieser Erde, der deine Festplatte im Kopf neu formatiert. Zwischen dem Schiff mit seiner Technik, dem Empfang von Meeressignalen über das Radar und dem unschuldigen Blick auf das Meer, welches von der Dunkelheit verschluckt wird, bist Du zurückgeworfen auf die letzten Gedanken, die nicht im Hamsterrad des tagtäglichen Lebens entstehen: Wahrhaftig, im Fluss, ohne Ausreden und Wegschauen.

+++

00:16 Uhr: Auf der Kammer ist ein Fernseher, manchmal wird ein Spielfilm über den Bordkanal gezeigt: Der Bildschirm bleibt heute dunkel, das Schiff dampft ohne Klabautermann weiter: Keine Zeit für alte Märchen, unser Land liegt weit entfernt: Es wird Winter: Ein Wintermärchen?