N 07° 12' 00.00" / W 023° 00' 00.00". Wir blicken in die Weiten des Weltraums und sehen die Sterne. Tief ins Meer können wir mit bloßem Auge nicht gucken. Vom Meer sehen wir in der Regel nur die Oberfläche - und die leuchtet jeden Morgen neu.

Es gibt viele Wege, sich dem Meer zu nähern. Künstler haben es gemalt, Dichter seine Schönheit, aber auch die Gefahr, die es für den Menschen bedeutet, beschrieben. Das Meer - es ist seit Jahrhunderten eine Projektionsfläche für unsere Sehnsüchte, Hoffnungen und Ängste. Der Psychoanalytiker Sigmund Freud benutzte den Begriff des "ozeanischen Gefühls". Ein Ausdruck, den er von seinem Brieffreund Romain Rolland hatte. "Ozeanisches Gefühl" meint ein Teil der Ewigkeit zu sein, mit ihr zu verschmelzen, ein Aufgehen im Unendlichen. Nicht das Gefühl beim Anblick des Meeres, sondern ein tiefes religiöse Gefühl des Einsseins mit der Welt.

Das wahre, das wirkliche Wesen des Meeres, vermögen hier aber nur die Wissenschaftler zu ergründen. Sie blicken tief unter die Meeresoberfläche. Ihre Forschung birgt Antworten auf die Frage nach dem Wesen, dem Zustand unseres Planeten. Antworten, die uns kein Philosoph, kein Dichter geben kann. Jede neue Erkenntnis der Meeresforscher bringt uns somit der Schöpfung ein Stück näher.

Und doch, wenn ich morgens aus dem Fenster meiner Kammer auf den Atlantik blicke, fällt mir eine Autorin ein, die das Meer und den Sonnenaufgang so einzigartig beschrieben hat. Virginia Woolf in ihrem Roman "Die Wellen":

"Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Das Meer war vom Himmel nicht zu unterscheiden, es war nur ein wenig gefältelt wie ein geknittertes Tuch. Während sich der Himmel allmählich erhellte, lag am Horizont ein dunkler Streifen, der das Meer vom Himmel trennte, und das graue Tuch war von dicken Linien gestrichelt, die sich eine hinter der andern unter der Oberfläche bewegten, einander folgten, einander verfolgten, ohne Unterlaß.

Während sie sich dem Ufer näherten, hob sich eine jede, wölbte sich, brach und warf einen dünnen Schleier weißen Wassers über den Sand. Die Welle hielt inne und zog sich dann zurück, seufzend wie ein Schläfer, dessen Atem unbewußt kommt und geht.

Allmählich klärte sich der dunkle Streifen am Horizont, als hätte sich in einer Flasche Wein ein Bodensatz gebildet und das Glas grün gelassen. Dahinter klärte sich auch der Himmel, als wäre der weiße Satz dort zu Boden gesunken oder als hätte der Arm einer unter den Himmelsrand gebetteten Frau eine Lampe hochgehoben, und flache Strahlen von Weiß, Grün und Gelb breiteten sich über den Himmel wie die Rippen eines Fächers.

Dann hob sie die Lampe höher, und die Luft schien faserig zu werden und sich von der grünen Oberfläche in rot und gelb flackernden und flammenden Fasern loszulösen gleich dem rauchigen Feuer, das von einem Scheiterhaufen emporzüngelt. Allmählich verschmolzen die Fasern des brennenden Scheiterhaufens zu einem einzigen Schwaden, einer einzigen Weißglut, welche die Last des grauwolligen Himmels über sich hochstemmte und ihn in Millionen Atome von sanftestem Blau verwandelte.

Die Oberfläche des Meers wurde langsam durchsichtig und kräuselte sich und glitzerte, bis die dunkeln Striche beinahe ausradiert waren. Langsam hob der Arm, der die Lampe hielt, sie höher und dann noch höher, bis eine breite Flamme sichtbar wurde; ein Bogen von Feuer brannte am Himmelsrand, und überall darunter lohte das Meer golden."