Vorstandsmitglied berichtet über dramatisches Ultimatum. Außenminister soll gedroht haben: Ich werde nur Kanzlerkandidat, wenn Müntefering Parteichef wird!

Berlin. Der Wechsel an der Spitze der SPD ist wesentlich dramatischer verlaufen, als ihn die Parteioberen öffentlich darstellen. Ein SPD-Vorstandsmitglied sagte dem Abendblatt, Außenminister Frank-Walter Steinmeier habe gemeinsam mit den Leuten des designierten Vorsitzenden Franz Müntefering Kurt Beck von der Parteispitze "weggemobbt", indem er den Spitzengenossen ein Ultimatum stellte: Er sei nur bereit, Kanzlerkandidat zu werden, wenn Müntefering Parteichef werde. Steinmeier selbst stellt den Verlauf der Ereignisse anders dar. Er habe gewusst, dass Beck seit vielen Wochen entschlossen gewesen sei, nicht selbst als Kanzlerkandidat anzutreten, sagte er gestern. Donnerstag habe man sich zu dritt getroffen und besprochen, dass Beck Parteichef bleibe, ihn - Steinmeier - als Kanzlerkandidaten vorschlage und Müntefering "eine Rolle bei der Wahlkampfvorbereitung" übernehme.

Für die Länge eines Wimpernschlags der Geschichte sah es am Sonntag sogar so aus, als ob ein Hamburger neuer SPD-Vorsitzender werden könnte. Beck soll, als er seinen Rücktritt mitteilte, den Altonaer Bundestagsabgeordneten und Bundesarbeitsminister Olaf Scholz als seinen Nachfolger vorgeschlagen haben. Doch er konnte sich gegen Steinmeier und Partei-Vize und Finanzminister Peer Steinbrück nicht durchsetzen.

Gestern hat der 45-köpfige SPD-Vorstand Steinmeier einstimmig als Kanzlerkandidaten nominiert. Bei der Abstimmung über den Vorschlag, Müntefering zum Nachfolger Becks zu wählen, stimmte der Parteilinke Ottmar Schreiner dagegen. Es gab auch fünf Enthaltungen vom linken Flügel. Der 68-jährige Müntefering soll auf einem SPD-Sonderparteitag am 18. Oktober in Berlin zum Vorsitzenden gewählt werden. Beck wird in Rheinland-Pfalz sowohl Ministerpräsident als auch SPD-Landesvorsitzender bleiben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gratulierte Steinmeier. Die Umstände kritisierte sie jedoch als "der Würde einer Volkspartei eigentlich nicht entsprechend".

Die IG Metall ging deutlich auf Distanz zur SPD. Er sei "mehr als irritiert", sagte Gewerkschaftschef Berthold Huber. "Das wird unsere Bemühungen um Unabhängigkeit eher befeuern, als alte Nähe zurückzubringen." Die IG Metall gehört zu den Kritikern der "Agenda 2010", die von Müntefering und Steinmeier mit entworfen wurde.