Sechs Fragen an den Hamburger Politikprofessor Joachim Raschke.


Hamburger Abendblatt:

Hätten Sie diesen plötzlichen Führungswechsel bei der SPD erwartet?

Joachim Raschke:

Ich wusste, dass die Position von Beck wackelig ist und dass es Leute gibt, die ihn für einen zu großen Risikofaktor gehalten haben, selbst in der Kombination mit Steinmeier. Der Ablauf war chaotisch, Blut ist nicht schön, aber das Ergebnis macht Sinn.



Abendblatt:

Wurde Steinmeier durch diesen Start geschwächt?

Raschke:

Das war das Gegenteil einer idealen Inszenierung des Kandidaten. Aber die Frage, in welcher Formation man das Wahljahr angeht, ist wichtiger. Beck war erschöpft, er war entmutigt, er war tief verletzt.



Abendblatt:

Wie lässt sich die zerrissene Partei vereinen?

Raschke:

Es sieht immer nach einer Metzelei aus, wenn die Führung in einem unordentlichen Verfahren neu gebildet wird. Das kann nicht nach dem Stilbuch politischer Kultur ablaufen. Das wird in wenigen Wochen vergessen sein. Die neue Führung hat gute Chancen, weil sich die Partei ab jetzt im Wahlkampf befindet - der diszipliniert.



Abendblatt:

Was sollte die SPD jetzt tun?

Raschke:

Steinmeier und Müntefering sind der Versuch, ein neues Zentrum der Partei zu definieren. Das kann gelingen, wenn sie die Linke so einbauen, dass man als Partei der linken Mitte erfolgreich sein kann. Die SPD muss versuchen, die zweieinhalb bis drei Millionen Wähler, die in skeptischer Warteposition gegenüber der SPD verharren, zurückzugewinnen. Die sind bereit, zurückzukehren, wenn die SPD wieder eine Linie findet und beide Gewichte betont: wirtschaftliche Dynamik und soziale Gerechtigkeit.



Abendblatt:

Wie sieht es mit den Aufweichungen der Agenda 2010 aus?

Raschke:

Es wird vor allem eine andere Kommunikation über die Agenda 2010 geben. Jetzt kommt es darauf an, die Ideen der Agenda positiv zu verteidigen, auch wenn sie kein Meisterwerk der Politik war. Das Zentrum hat die Chance, die SPD neu zu definieren. Das wird nicht die Rückkehr der Schröder-SPD, dann wäre sie verloren.



Abendblatt:

Wird sich das auf die Große Koalition auswirken?

Raschke:

Ich glaube, dass Merkel, Steinmeier und Müntefering wissen, wie man Wahlkämpfe führt, nach denen man mit beträchtlicher Wahrscheinlichkeit wieder zusammenarbeiten muss. Ich traue der SPD in ihrem jetzigen Zustand keinen Machtwechsel zu. Es geht nicht um Sieg, sondern um das Überleben als Volkspartei: Erreicht sie 30 Prozent plus X oder bleibt sie unter der Marke und damit auf dem Abstieg von der Groß- zur Mittelpartei?