Die “Obamacare“ wird zur Zerreißprobe: Viele Amerikaner fürchten höhere Kosten und zu viel Staat.

Hamburg/Washington. Ein erholsamer Urlaub wird es nicht, höchstens eine Verschnaufpause. Neun Tage lang sonnt sich US-Präsident Barack Obama mit Frau und Töchtern auf Martha's Vineyard, der exklusiven Prominenten-Insel im Bundesstaat Massachusetts. Und selbst das stößt auf Kritik: Warum er nicht im krisengebeutelten amerikanischen Herzland Urlaub mache, wird dem Präsidenten öffentlich vorgehalten.

Der Wind bläst Obama derzeit von vorn ins Gesicht. Zwar steht Amerikas Wirtschaft nicht mehr am Abgrund, die Arbeitslosigkeit ging im Juli von 9,5 auf 9,4 Prozent zurück. Umso heftiger jedoch tobt seit Monaten der Streit um seine Gesundheitsreform, genannt "Obamacare" (abgewandelt von "Health Care"). Seit Anfang Juli stürzten Obamas Umfragewerte von 60 auf 49 Prozent ab, jeder zweite US-Bürger ist mittlerweile gegen Obamacare.

Dabei geht es um nichts weiter als eine Versicherungspflicht. Um die bisher nicht versicherten 47 Millionen Amerikaner endlich einzubeziehen, soll eine staatliche Krankenversicherung als kostengünstige Alternative zu den privaten aufgebaut werden. Die Kosten - eine Billion Dollar - will Obama mit einer "Reichensteuer" aufbringen: Geplant ist, den Steuersatz für Spitzenverdiener auf 45 Prozent anzuheben.

Was Westeuropäer schon seit Jahren kennen, sorgt in den USA für eine staatspolitische Zerreißprobe mit zum Teil grotesken Blüten. Die Republikaner sehen in Obamacare eine "Sowjetisierung" des Gesundheitssystems und bestehen auf freiwilliger Versicherung. Unternehmen fürchten eine Erhöhung der Arbeitskosten durch Beitragsanteile. Die katholischen Bischöfe der USA fürchten, dass die Staatsversicherung auch Abtreibungen bezahlen würde, und der prominente evangelikale Pastor Harry Jackson nannte die Reform an sich "gottlos und böse".

Den Vogel schoss Sarah Palin ab, Ex-Vizepräsidentenkandidatin und bis vor Kurzem Gouverneurin von Alaska: Sie befürchte, dass knickrige staatliche "death panels" (Todeskommissionen) künftig entscheiden würden, welchen alten oder behinderten Menschen medizinisch geholfen werde, sagte sie.

Der bekannte New Yorker Kolumnist Paul Krugman versuchte in der "New York Times" etwas geistige Ordnung zu schaffen: Bei einem Versicherungssystem wie in der Schweiz könne man wohl kaum von "Sowjetisierung" oder Behindertenfeindlichkeit sprechen, schrieb er. Auch in Kanada oder Frankreich führe die Versicherungspflicht zu guter medizinischer Versorgung.

Was die Amerikaner allerdings in der Krise einhellig ablehnen, sind steigende Steuern. Deshalb schlug Nancy Pelosi, die einflussreiche demokratische Kongresssprecherin, dringlich vor, das Thema Reichensteuer zu vertagen. Inzwischen droht Obamacare die Demokraten selbst zu spalten: Während der gemäßigte Flügel zu Kompromissen mit den Kritikern bereit wäre und bereits ein genossenschaftliches Versicherungsmodell erwägt, greift der linke Parteiflügel Obama deswegen an: Er sei bereit, die Staatsversicherung als Kernstück der Reform zu opfern. Manche Senatoren wie Demokrat Kent Conrad scheinen so verzagt, dass sie im Senat "einfach keine Mehrheit" für die Reform sehen.

Obama selbst prophezeite gestern in einem Namensbeitrag in der "New York Times": "In den nächsten Wochen werden die Zyniker und Neinsager weiter Angst schüren. Aber bei all den Angst machenden Taktiken ist nur eines wirklich zum Fürchten: nämlich nichts zu tun."