Präsident Barack Obama gab alles, um den Kongress und die Bürger zu überzeugen. Die Gesundheitsreform soll 900 Milliarden Dollar kosten.

Washington. Eigentlich darf er nur einmal im Jahr im Kongress reden: immer am Anfang eines Jahres zur Lage der Nation („State of the Union“). Und 2009, im Jahr seines Amtsantritts darf er eigentlich gar nicht. Darauf legen die Politiker Amerikas großen Wert. Schließlich ist ihre Demokratie über 230 Jahre alt. Doch US-Präsident Barack Obama bricht die alten Regeln.

Obama hat mit einem leidenschaftlichen Appell den US-Kongress zu einer Verabschiedung einer Gesundheitsreform aufgefordert. Nach „unserem kollektiven Scheitern“ in Jahrzehnten vergeblicher Reformbemühungen sei nun eine entscheidende Stunde in der US-Geschichte gekommen, sagte Obama vor Senatoren und Repräsentanten. „Ich bin nicht der erste Präsident, der sich dieses Themas annimmt, aber ich bin entschlossen, der letzte zu sein“, sagte Obama. Die „Zeit zum Handeln“ sei nun gekommen. „Die Zeit der Spielchen ist vorbei.“

Obama nannte drei zentrale Ziele seines Plans:

– mehr Sicherheit für die schon Versicherten

– die Einbindung der bisher 47 Millionen Amerikaner ohne Krankenversicherung

– das Senken der explodierenden Kosten für das US-Gesundheitswesen, das ein Sechstel der gesamten Wirtschaftsleistung der USA verschlinge.

Obamas Mega-Werk soll 900 Milliarden Dollar in den kommenden zehn Jahren kosten, „weniger als wir für die Kriege im Irak und in Afghanistan ausgegeben haben und weniger als die Steuerkürzungen für die kleine Zahl der reichsten Amerikaner in der Zeit der letzten Regierung (von George W. Bush)“, sagte Obama.

Überall im Land schauten Millionen Menschen die Rede im Fernsehen an. Obama sagte, die Gesundheitsversorgung solle nicht verstaatlicht werden. Sie solle aber auch nicht die private Angelegenheit jedes Einzelnen bleiben. Ein staatliches Gesundheitsangebot sei wichtig, weil man mehr Konkurrenz im Gesundheitswesen brauche. 67 Prozent der in einer CNN-Blitzumfrage befragten Amerikaner sagten, sie unterstützten Obamas Vorschläge. Das sind 14 Prozentpunkte mehr als vor der Rede. 29 Prozent der Befragten sind demnach weiter dagegen.

Als der Präsident sagte, dass das neue System keineswegs die Illegalen im Land einbeziehen würde, schrie ein Volksvertreter dazwischen „Sie lügen!“ Es war Joe Wilson aus South Carolina. Er entschuldigte sich später für die Entgleisung. Die Emotionen seien mit ihm durchgegangen, sagte der Republikaner.

Obama versicherte, dass auch staatliche Gesundheitsversicherungen gezwungen würden, kostendeckend zu arbeiten. Der Steuerzahler werde nicht dafür aufkommen müssen. Er werde keinen Plan unterzeichnen, „der nur um einen Dime (zehn Cent) das Defizit erhöht“. Die meisten neuen Kosten würden abgedeckt von den ohnehin schon existierenden staatlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen.

Dazu kämen zahlreiche Einsparungspotenziale. Die Kosten des Gesundheitswesens seien aber nicht weiter akzeptabel: „Wir zahlen anderthalb mal mehr pro Person für die Gesundheitsversorgung als jedes andere Land, aber wir sind dafür nicht irgendwie gesünder.“

Obama versicherte den Amerikanern, dass niemand gezwungen werde, seine bisherige Versicherung aufzugeben. Er kritisierte die privaten Krankenversicherungen, die Amerikanern den Schutz verweigerten, weil sie mit ihrer Krankheitsgeschichte als zu großes Risiko eingeschätzt würden. Es sei auch „herzzerreißend und falsch“, wenn private Kassen manchen Kranken bei schweren Krankheiten unter Vorwänden kündigen würden. „Wir sind die einzige fortgeschrittene Demokratie auf der Erde und die einzige reiche Nation, die Millionen Menschen diese Härten zumutet.“

Obama zitierte den verstorbenen US-Senator Edward Kennedy. Er habe in einem kurz vor seinem Tod verfassten Schreiben an Präsident Obama dessen Pläne für eine umfassende Gesundheitsreform nachdrücklich unterstützt. Kennedy schrieb, er sei zuversichtlich, dass es in den USA schon bald eine Krankenversorgung geben werde, die sich alle leisten könnten und niemals mehr die Gesundheit einer Familie von deren Wohlstand abhängig sein werde. Er selbst werde diesen Sieg aber nicht mehr erleben, schrieb Kennedy im Mai angesichts seines nahen Todes. Der Senator aus Massachusetts erlag am 25. August im Alter von 77 Jahren einem Gehirntumor. Seit Jahrzehnten kämpfte der jüngste Bruder des ermordeten Präsidenten John F. Kennedy für eine Krankenversicherung für alle Amerikaner. Kennedys Witwe Vicki und andere Familienmitglieder verfolgten die Rede Obamas von der Galerie aus.