Quarantäne drastisch ausgeweitet. Zweites Krankenhaus abgeriegelt. Babydrama in Hongkong.

Peking/Genf. Der Kampf gegen die Lungenseuche SARS (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom) in China wird nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wohl gar nicht mehr zu gewinnen sein oder mindestens mehrere Wochen dauern. Peking stellte zirka 4000 Menschen unter Quarantäne und isolierte eine zweite Klinik komplett. Eine besondere Gefahr ist laut WHO die Ausbreitung der Viren in rückständigen ländlichen Gebieten. In Deutschland besteht dagegen nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin derzeit kein Grund, wegen SARS besonders besorgt zu sein. Die drastischen Quarantänemaßnahmen in Peking haben unter der Bevölkerung eine Panik angefacht. Rund um die chinesische Hauptstadt wurden Kontrollposten eingerichtet, um SARS-Kranke am Verlassen der Stadt zu hindern. Mit fünf neuen Todesfällen stieg die Zahl der Opfer in China auf 115, in Hongkong erlagen sechs weitere Menschen der gefährlichen Krankheit. Die chinesische Hauptstadt ist seit Tagen eine einzige Gerüchteküche. Die Armee solle alles abriegeln, hieß es. Sämtliche Bahnverbindungen sollten gestrichen werden, um die Flucht aufs Land unmöglich zu machen, behaupteten andere. Wieder andere sagten, die SARS-Kranken sollten in Lager am Stadtrand ausgesiedelt werden. Ohnehin traut sich kaum noch jemand auf die Straße - und wenn, dann nur mit Mundschutz. Auch wenn das Informationsbüro Berichte über die angebliche Verhängung des Kriegsrechts dementiert, befürchten die Menschen, dass ein Chaos ausbricht. Schon jetzt kommt es zu Hamsterkäufen. Wer kann, flüchtet aus der Stadt. Allerdings wurde Studenten das Verlassen Pekings während ihrer einwöchigen Semesterferien untersagt. Auch Pendler wurden aufgefordert, sich nicht aus der Metropole zu bewegen. Gebäude oder Plätze, in bzw. auf denen SARS-Fälle entdeckt wurden, sind gesperrt. Betroffen waren unter anderem Fabriken, Schulen, Restaurants und sogar Behörden. Das zweite große Krankenhaus, das unter Quarantäne gestellt wurde, hat mehr als 100 SARS-Patienten. Auch die rund 600 Ärzte, Krankenschwestern und sonstiges Personal durften das Gebäude nicht mehr verlassen. Am Vortag war bereits ein Volkskrankenhaus mit mehr als 1000 Patienten und Angestellten unter Quarantäne gestellt worden. Die Eingeschlossenen fühlten sich wie Vieh, sagte ein Angehöriger, der seinen Namen nicht nennen wollte. Es wird kritisiert, dass die Regierung zu wenig für die Sicherheit des Pflegepersonals tue. Der französische Regierungschef Jean-Pierre Raffarin erklärte sich bei einem Besuch in Peking solidarisch mit China. Es war die erste Visite eines westlichen Regierungschefs seit dem Wechsel an der chinesischen Führungsspitze. Der britische Premier Tony Blair und US-Vizepräsident Dick Cheney hatten ihre Reisen wegen SARS abgesagt. In Hongkong wurden 22 neue SARS-Fälle registriert, teilte die Regierung mit. Hier spielt sich ein ganz besonderes Drama ab. So erblickten drei Babys infizierter Mütter das Licht der Welt. Die Unsicherheit ist groß: Tests auf die gefährliche Lungenkrankheit blieben negativ, trotzdem zeigen die Säuglinge Symptome. Wenn sie überleben, werden zwei von ihnen keine Mütter mehr haben. Denn diese starben kurz nach dem Kaiserschnitt an SARS. Den Zustand der überlebenden Frau beschrieb der Arzt Liu Shao-haei als stabil. Auch andere schwangere Frauen in Hongkong fürchten jetzt um ihr Leben und das ihrer Kinder. Eine schwangere Krankenschwester rief am Freitag weinend bei einem Radiosender an. Sie habe furchtbare Angst, zur Arbeit zu gehen, aus Furcht, sie könne sich mit SARS infizieren. "Ich bin erst in der 14. Woche", sagte die Frau unter Tränen. "Wenn ich zur Arbeit gehen muss, ist es, als müsste ich das Leben meines Babys riskieren." Bislang infizierten sich weltweit mehr als 4400 Menschen mit SARS, 275 starben daran. Auf den Philippinen wurden zwei erste Todesfälle gemeldet. Das thailändische Gesundheitsministerium sprach von einem achten Verdachtsfall; in Malaysia waren es vier neue Verdachtsfälle. Die WHO hielt an ihrer Reisewarnung für das kanadische Toronto, Peking, Hongkong und die nordchinesische Provinz Shanxi fest. SARS-Sondersendung aus dem Bernhard-Nocht-Institut (Hamburg), Sonnabend, 20.05 bis 21 Uhr auf NDR 90,3