Im einstigen Treffpunkt der Literaten wird die Kaffeehauskultur noch bis heute gepflegt.

Lida Piccini hat von jeher das Ausgefallene gemocht. Als sie in den 1970er-Jahren viel zu früh verwitwete, suchte sie sich einen Job als Sprecherin beim Radio. Nach ihrer ersten Rentenzahlung, erzählt die Signora, ihren Kaffee schlürfend, ging sie als Komparsin zum Film. Heute noch mimt sie trotz ihrer 77 Jahre für 80 Euro Tagesgage Damen aus gutbürgerlichem Haus. Oder heruntergekommene Adelige.

Arbeit für Statisten gibt es in Triest genug. Immer wieder zieht es Filmemacher in die Stadt an der Schnittstelle zwischen Italien, Österreich und Slowenien, um dort zu drehen. Geschichten etwa von illegalen Grenzgängern, Drogenschmugglern oder skrupellosem Menschenhandel, wie sie Giuseppe Tornatore in seinem neuestem Film "La sconosciuta" (Die Unbekannte) erzählt. Den durch den Erfolgsstreifen "Cinema Paradiso" bekannt gewordenen Regisseur faszinierte in Triest besonders das Licht, "das milchige Graublau des Himmels, das sich auf eigentümliche Weise mit den rotbraunen Reflexen der Karstlandschaft und dem Glanz des stahlfarben schimmernden Meeres vermischt".

Das Meer im östlichsten Winkel Italiens zog auch die Österreicher an - wenngleich aus anderen Gründen. Für die Habsburger Monarchie, die fünf Jahrhunderte lang fast ununterbrochen die Stadt regierte, war der Golf von Triest der einzige natürliche Zugang zum Mare mediterraneo. Unter Karl VI. 1719 zum Freihafen erklärt, wurde Triest von Kaiserin Maria Theresia zu einer der bedeutendsten Handelsstädte im Mittelmeerraum ausgebaut. Menschen aus ganz Europa strömten in die aufblühende Vielvölkerstadt, vor allem Slowenen, Griechen, Türken, Polen und ostjüdische Familien. Damals entstanden auch, wie im benachbarten Venedig, die ersten Kaffeehäuser, die heute eine Art Markenzeichen der Stadt sind. Auch wenn die Bedeutung des Hafens seither beachtlich geschrumpft ist, so wird in der Hauptstadt der Region Friaul Julisch-Venetien noch immer die Hälfte des italienischen Rohkaffees umgeschlagen. Bezeichnenderweise ist die schwarze Bohne nirgendwo so beliebt wie in Triest. Und die Triester Kaffeetrinker nehmen ihren Espresso, der hier Nero, der Schwarze heißt, nicht, wie sonst in Italien, auf die Schnelle am Tresen ein. Man setzt sich gemütlich, plaudert, liest stundenlang Zeitung oder erledigt auch Schreibarbeiten.

Es ist Geschichte, dass der irische Dichter James Joyce während seines freiwilligen Triester Exils am liebsten in den Cafes an seinem Werk "Ulysses" schrieb. Kaffeehäuser wie das monumentale Antico Caffè San Marco, das Caffè Tergesteo und das direkt am Meer gelegene, bereits seit dem Jahr 1825 bestehende Antico Caffè Tommaseo waren Treffpunkt literarischer Größen wie Grillparzer, Stifter, Svevo und Umberto Saba, Triester Lyriker, den die Stadt mit einem kuriosen Denkmal ehrt.

Triest hat seit jeher die Dichter inspiriert - und tut es heute noch. Der deutsche Kriminalautor Veit Heinichen, der dort seit 1999 lebt, hat das multikulturelle Ambiente zum Background seiner Romane gemacht. Sie habe etwas Magisches, hat er einmal gesagt, "hier trennt sich die Welt in Butter und Olivenöl". Besser gesagt, wird beides hier vereint. Man frühstückt mit Cornetti, den italienischen Frühstückshörnchen ebenso wie mit Krapfen oder Apfelstrudel. Und niemand wundert sich, wenn man in den kleinen Gaststätten in der Altstadt Semmelknödel oder Sauerkraut und Bier anstatt Tintenfisch mit Polenta oder Ravioli und Wein aus heimischen Rebsorten bestellt.

Das Habsburger Erbe ist in der Stadtarchitektur nicht zu übersehen. An der Rive, der Uferstraße, vereinen sich prachtvolle neoklassizistische Bürgerpaläste mit Häusern im Triester Stil, der sich im Lauf der Geschichte entwickelt hat. Man hat die Altstadt bewusst nicht mit modernen Fußgängerschleusen oder Schnellimbissketten auf Hochglanz poliert. In den engen Straßen, in denen der Kommissar Laurenti in Heinichens Krimis mit seiner Jagd auf Ganoven für Spannung sorgt, stößt man auf stilvolle kleine Hotels, auf Handwerkerläden und gemütliche Kneipen. Fischfans zieht es meist in die Tavernen in der Hafennähe.

Nicht selten jedoch liegt das, was in manchen Reiseführern groß vermerkt ist, versteckt. Am Römischen Theater führt ein leicht zu übersehender Treppenweg, an einer mittelalterlichen Kirche vorüber, zum Burghügel von San Giusto hinauf, der den Blick über das weite Hafengelände und den gesamten Golf bis hin nach Slowenien freigibt. Aus gutem Grund gründeten die Römer an dieser Stelle 178 v.Chr. eine Kolonie. Sie nannten sie Tergeste und machten sie zum Verkehrs- knotenpunkt zwischen Rom und den östlichen Provinzen. Heute sind die Überreste des Forums eine Oase der Besinnlichkeit und Erholung, wie die vielen Parks und Grünanlagen der Stadt.

Triest und das ewig lockende Meer. Wenn sich der Abendnebel über die Küste legt, wirkt das Mitte des 19. Jahrhunderts von dem österreichischen Erzherzog Maximilian auf einem Felsvorsprung errichtete Schloss Miramare wie ein verwunschenes Märchenkastell. Im Hochsommer ist die Uferstraße von Miramare bis nach Barcola, wo alljährlich im Oktober die traditionelle Segelregatta mit rund 2000 Booten startet, voll. Als Alternative bietet sich den Badegästen das Stabilimento Bagno alla Lanterna am Siegesleuchtturm an: Die einzige italienische Badeanstalt im Freien, wo heute noch die männliche und weibliche Welt getrennt in die Fluten steigt. Etwas weltfremd? Keineswegs! Jeder Versuch, das System abzuschaffen, stieß bei den Triestern auf Widerstand.

Die Visitenkarte der Stadt aber ist die Piazza dell'Unità d'Italia, die sich, wie es nicht anders sein kann, zum Meer hin öffnet - mit ihren mondänen Hotels und Cafes. Hier münden die quirligen Einkaufsstraßen, in denen italienischer Schick für slowenische und kroatische Kunden geboten wird. Wer auf sich hält, schaut bei Sonnenuntergang mal kurz - mitsamt Hündchen - auf einen Aperitif im piekfeinen Harry's Grill vorbei. Vielleicht um sich zum Abendessen in einem der antiken Dörfer im Karst zu verabreden, wo sich Kommissar Laurenti gern von seinem Stress erholt. Auch das gehört zu Triest.