Der Gardasee in Oberitalien ist seit jeher eine gute Adresse für Individualisten und Romantiker.

Die Schwanenfamilie weiß, was sie den Gardasee-Gästen schuldig ist. Vor der imposanten Kulisse der Burg von Malcesine hat sie auf dem See Position bezogen. Während die langen Hälse der Eltern immer mal wieder unter der Wasseroberfläche verschwinden, wuselt der Nachwuchs, fünf possierliche Schwanenküken, flink um sie herum. Bald hat sich an der Uferpromenade eine dichte Traube gebildet, um das idyllische Bild zu würdigen. "Wirklich schön", entfährt es einer entrückten Besucherin.

Ein Stoßseufzer, den man in Malcesine oft zu hören bekommt. Das Bilderbuch-Städtchen am Nordostufer des Gardasees gehört zu den beliebtesten und schönsten Zielen Oberitaliens. Enge Gassen mit unzähligen Galerien, Restaurants und Antiquitäten-Shops drängen sich zur Sacalliger-Burg hinauf. Trotz Tourismus haben sich die Bewohner aber nicht verbiegen lassen. Überall findet man noch stille Ecken, wo Kinder Ball spielen oder Frauen mit Kopftuch ihre Stühle vor die Tür rücken, um ein Schwätzchen zu halten.

Die zinnenbewehrten Burgterrassen bieten einen unvergleichlichen Blick auf den See und auf verstreute Zypressen am Seeufer, die wie tiefgrüne Fackeln in den Himmel ragen. Schon vor über 200 Jahren verfiel ein berühmter Deutscher diesem einmaligen Panorama. Als Johann Wolfgang von Goethe 1786 die Burg besuchte, zückte er hingerissen seinen Skizzenblock. Das hätte ihn fast in den Kerker gebracht , denn der Ortsgendarm hielt den Reisenden aus Weimar für einen habsburgischen Spion.

Für diesen Fauxpas leistete der lebhafte Ort später Abbitte. Den Innenhof der Burg schmückt heute eine Büste des Dichterfürsten, und im kleinen Museum sind Faksimiles der Skizzen ausgestellt, die ihn fast die Freiheit gekostet hätten. Im kleinen Seehafen steht in Sichtweite bunter Fischerboote fast unverändert das Hotel "San Marco", damals das erste Haus am Platze, in dem Goethe nächtigte. Für 60 Euro pro Nacht wird den Fans des Faust-Autors der Schlüssel für Zimmer 2 ausgehändigt. Dort soll sich auch der Dichter zur Ruhe begeben haben.

Mit seinen lyrischen Italien-Erinnerungen löste er später einen Boom aus, der bis heute anhält. Millionen von Deutschen sind seitdem über die Alpenpässe gepilgert auf der Suche nach "dolce vita" und "dolce far niente". Wer mit dem Klassiker nichts am Hute hat - auch okay. Der Gardasee, dieses ewige Sehnsuchtsziel der Deutschen, hat ebenso für Goethe-Ignoranten jede Menge zu bieten. Kaum einer, der nicht sofort dem Charme des 55 Kilometer langen Sees erliegt, und das heiter-mediterrane Klima tut ein Übriges: Wenn uns noch die letzten Nachtfröste bibbern lassen, ist am Gardasee schon T-Shirt-Wetter. Ab Mitte März genießt man den ersten Cappuccino im Freien und wandelt auf den zahlreichen Seepromenaden unter duftenden Zypressen und blühenden Magnolienbäumen.

Historische Orte mit braunroten Villen schmiegen sich ans Seeufer, so eng gebaut, dass nirgendwo Platz ist für Bettenburgen. Nur kleine, noble Hotels haben hier eine jahrzehntelange Tradition. Der Gardasee ist seit jeher ein Ziel für Individualisten, für Romantiker und auch für Surfer, die am Nordufer bei Torbole wegen der beständigen Fallwinde ideale Voraussetzungen für ihren rasanten Sport finden.

Im benachbarten Riva del Garda (14 000 Einwohner) geht es schon weitaus gemächlicher zu. Die lange Seepromenade ist eine Ruhe-Oase mit vielen Bänken, und Gourmets genießen in den Restaurants die See-Spezialität "gegrillte Felchen", eine der Seeforelle verwandte Fischart. Wer die deftige Trentiner Küche vorzieht: In einfacheren Lokalen wie der gemütlichen "Osteria del Gallo" im Zentrum kommen auch typische Spezialitäten wie Tagliatelle mit Pilzen oder Spinat-Gnocchi auf den Tisch.

Über Torri del Benaco (Museum mit Zitronengewächshaus von 1760) und Bardolino (Anbaugebiet des gleichnamigen Rotweins) erreicht man in etwa zwei Autostunden Sirmione im Süden, den Vorzeige-Ort der Region. Das mittelalterliche Städtchen mit engen Gassen und weiten Plätzen breitet sich auf einer Halbinsel aus, die wie eine Zunge in den See hineinragt. Rund 160 Stufen führen hinauf zu den Zinnen einer Wasserburg aus dem 13. Jahrhundert, von der man einen fantastischen Rundblick über die Altstadt genießt. Schon die alten Römer wussten diesen privilegierten Ort zu schätzen: Am äußersten Ende der Landzunge bauten sie ihre Villen und Arkaden. Vor wenigen Jahrzehnten wurden sie rekonstruiert und können besichtigt werden. Kleiner Wermutstropfen: Täglich ergießen sich unzählige Busladungen mit Ausflüglern in den malerischen Ort, das hat die Preise in astronomische Höhen steigen lassen.

Eine Spur stiller geht es am Westufer zu. Durch 14 Tunnel kurven Autofahrer auf der Seestraße Gardesana Occidentale von Riva del Garda nach Limone. Wie Schwalbennester kleben Häuser und Gassen des 1000-Einwohner-Ortes an den Hügeln. Seinen Namen erhielt der Ort von den vielen Zitronenbäumen, die sich hier früher an die steilen Abhänge klammerten. Engagierte Obstbauern bauen die sauren Früchte seit wenigen Jahren wieder an. Die jährliche Menge reicht aus, um auch den schmackhaften Likör Limoncello wieder aus einheimischer Produktion herstellen zu können.

Auch Limone scheint zeitweise unter seinen vielen Tagesgästen zu ächzen. Ganz anders Gargnano, das sich 15 Kilometer weiter südlich eng an das Seeufer schmiegt. Auf die hübsche Uferpromenade verirrt sich tagsüber selten eine Menschenseele, und in den wenigen Hotels genießt man für 50 bis 70 Euro pro Nacht einen geruhsamen Urlaub mit unverbautem Seeblick. Gargnano ist Ausgangspunkt für Ausflüge nach Sal, das nach seiner Zerstörung durch ein Erdbeben 1901 im Jugendstil wieder aufgebaut wurde, und nach Gardone Riviera, wo der österreichische Tausendsassa Andre Heller einen botanischen Garten nach seinen Vorstellungen gestaltet hat.

Wer Alpenflora in freier Natur vorzieht, kann in Malcesine mit der Seilbahn auf den 1720 Meter hohen Monte Baldo fahren. Etwa einhundert Meter südlich der Bergstation beginnt ein traumhaft schöner Rundweg durch blühende Almlandschaften (Gehzeit vier Stunden). Bauern- und Alpenrosen, Frauenschuh, wilde Alpenveilchen, endemische Witwenblumen, Lilien, Trollblumen, gelber Enzian und Anemonen verwandeln Bergwiesen und Wegränder in einen riesigen bunten Flickenteppich.