Italien: Der alte Adel wußte schon vor 100 Jahren, daß man besser im Winter an die Amalfitana fährt. Denn nur dann ist der Aufenthalt ein wahrer Luxus.

Ende des 19. Jahrhunderts reiste man eigentlich nur zwischen November und Februar in den Süden Italiens. Also in jenen Monaten, in denen dort "die Bürgersteige hochgeklappt" sind. Doch auch heute macht eine solche Planung durchaus noch Sinn. Vor allem, wenn es um das Städtchen Positano geht.

In den Sommermonaten ist es zwar deutlich wärmer, aber gerade deshalb auch viel voller - oft sogar so voll, daß der Ausflug zu einem unvergeßlichen Höllentrip werden kann. Der Frust beginnt dann nämlich schon, wenn man die auf Grund ihrer Ausblicke schönste aller Straßen entlang der amalfitanischen Küste verläßt und in die Einbahnstraße einbiegt, die durch Positano führt. Die Wegkurven nach unten entzücken noch wegen der immer wieder neuen Panoramablicke - bis sich schließlich unten am Taxistand bei der Bar "Mulino Verde" die Frage stellt: Wohin jetzt mit dem Auto? Überall herrscht absolutes Parkverbot, trotzdem reihen sich bereits lange Autoschlangen am Straßenrand. Es bleibt also nur der Weg in eines der Parkhäuser. Bis zu sieben Euro kostet da ein Parkplatz - nicht pro Tag, sondern pro Stunde! Spätestens jetzt trübt der erste Wermutstropfen die von so viel mediterranem Flair völlig abgehobene Allgemeinstimmung.

Dann geht es zu Fuß weiter. Der alte Kern von Positano mit seinen unzähligen Gäßchen und Wegtreppen schmiegt sich wie ein großes Felsennest an den Hang der Costiera Amalfitana. Aber was ist das denn? Wird da etwa umsonst Limoncello, dieser leckere Zitronenlikör ausgeschenkt? In der Via dei Mulini, die als einzige Gasse hinunter zum Ortsmittelpunkt bei der Kirche führt, herrscht ein dichtes Gedränge von Touristen aus aller Welt. Von wegen umsonst: Alle drängen hinunter zum Strand, doch dort schlägt ein Espresso in der legendären Bar "Buca di Bacco" mit satten zwei Euro zu Buche, und zwar im Stehen eingenommen. Manch einen ereilt spätestens jetzt die Erkenntnis: Positano im Sommer - das ist nicht wirklich Urlaub. Und man beschließt, erst dann wiederzukommen, wenn die Massen weg sind.

Gesagt, getan: Besuchen wir die reizende Ortschaft einfach mitten im Winter. Jetzt sind selbst die Einheimischen rar: Sie tummeln sich gerade an den Stränden von Sharm el Sheikh oder von Kuba. Auch Thailand war vor dem Tsunami groß in Mode unter den Positanern, um sich unter ihresgleichen vom eigenen Touri-Sommerstreß zu erholen.

So ist es kein Wunder, daß viele der renommierten Kleidergeschäfte, Restaurants und Bars in Positano derzeit geschlossen sind. Dort, wo geöffnet ist, zahlt man jetzt 1,30 Euro für den Mokka im Stehen - weniger als im Sommer, aber immer noch recht viel im Vergleich zu Rest-Italien.

Dafür aber zeigt sich Positano endlich in seinem ursprünglichen Gesicht. Und in den Gassen und auf den Plätzen begegnet man wirklich nur wenigen Touristen.

Gerade jetzt erinnert der Ortskern von Positano an die zwanziger Jahre, als zahlreiche Intellektuelle - vor allem aus Deutschland - das damals noch unbekannte Nest für lange Aufenthalte auserkoren hatten. Seitdem unverändert geblieben sind die kubusförmigen, in warmen Pastellfarben getünchten Häuser, die schon LeCorbusier beeindruckt haben. Nur daß die Gäste von einst noch auf jeglichen Komfort verzichten mußten: Die winzigen Würfelhäuser boten damals weder elektrisches Licht noch fließendes Wasser.

Mag schon sein, daß die Schriftsteller und Künstler das auch inspirierend fanden. In erster Linie hatte sie jedoch Geldnot nach Positano getrieben. Viele von ihnen waren auf der Flucht vor der deutschen Währungsinflation zuerst auf der Insel Capri gelandet. Dort ließ es sich, wenn auch in bescheidenen Verhältnissen, aber immerhin in mediterraner Atmosphäre, immer noch besser (über)leben als im teuren und kalten Berlin oder in München. Von Capri aus entdeckten sie dann das nahegelegene und noch preiswertere - weil ärmere - Positano.

Mitte der zwanziger Jahre versammelte sich hier eine richtige kleine deutschsprachige Künstlerkolonie: Der Maler Karli Sohn-Rethel hatte über Jahre hinweg eingerichtet, Gilbert Clavel, ein Schweizer Literat, baute sich am westlichen Strandende eine bis heute hervorragende Turmresidenz, Walter Benjamin schaute im Sommer 1924 vorbei, der Bühnenbildner und Maler Caspar Neher verbrachte denselben Sommer zeichnend in Positano. Besucht wurde er hier unter anderem von Bert Brecht, mit dem er kurz zuvor in München für eine Inszenierung zusammengearbeitet hatte. Auch Pablo Picasso liebte Positano: Er besuchte mehrfach hier seinen Tänzerfreund Leonide Massine, der damals auf einem vor Positano im Meer liegenden Inselchen namens Li Galli lebte.

In den dreißiger Jahren versteckten Positaner in ihren oft nur mühsam erreichbaren Häusern auch einige jüdische Ausländer, die auf der Flucht vor den Nationalsozialisten waren. Heute unbekannte Personen waren ebenso darunter wie die namhaften Schriftsteller Armin Wegner und Stefan Andres. Letzterer blieb in Positano auch nach dem Krieg noch ein paar Jahre wohnen. Mit dem Massentourismus in den sechziger Jahren kamen auch die Stars, derer sich Positano bis heute rühmt: Liz Taylor und Richard Burton, Sophia Loren, Rudolf Nurejew und wie sie alle hießen. Ihre aktuellen Pendants, darunter Julia Roberts und Prinzessin Caroline von Monaco, kommen immer noch gern. Nur ziehen sie sich meist komplett zurück in das "San Pietro", eines der fünf teuersten Hotels von ganz Italien.

Kein Vergleich mit der Exklusivität eines 5-Sterne-Hotels ist jedoch der einmalige Luxus, Positano um diese Jahreszeit ganz für sich alleine zu haben. Während man die Ortschaft erkundet, kommt einem vielleicht der Gedanke an den amerikanischen Schriftsteller John Steinbeck, der 1952 feststellte, daß ganz Positano aus einem einzigen Treppengefüge bestehe: "Wenn Ihr hier einen Freund besucht, dann lauft Ihr nicht zu ihm, sondern Ihr steigt entweder zu ihm hinauf oder laßt Euch zu ihm herab."

Luxus pur ist es auch, um die Mittagszeit mühelos einen Platz auf der Terrasse des einzig geöffneten Strandrestaurants "Le Tre Sorelle" zu bekommen - im Sommer ein Ding der Unmöglichkeit - und mit Blick auf die idyllische Bucht und das Meer von Positano einen Teller Spaghetti mit fangfrischen Meeresfrüchten zu genießen. Die mediterranen Klimabedingungen begünstigen eine Winterreise - nur vorübergehend trübt einmal ein Schauer den azurblauen Himmel.

Und wieder kommt einem John Steinbeck in den Sinn, der sagte: "Wenn es Euch passiert, einen so schönen Ort wie Positano zu entdecken, dann ist es fast immer der erste Impuls, Eure Entdeckung für Euch zu behalten."

Also: Nicht weitersagen, daß es im Winter hier echt schön ist . . .