Italien: Entspannte Familienferien im sanften Hügelland. Urlaub im Castello, weitab vom Strand. Finden Kinder das öde? Nicht, wenn dort engagierte Betreuer für viel Abwechslung sorgen.

Als die Sonne glutrot hinter der Bergkette untergeht, beginnen die Glühwürmchen zu leuchten. Sie ahnen nichts von dem Unheil, das ihnen bevorsteht. "Da ist eins!" ruft der Knabe und stapft, den kleinen Plastikeimer fest in der Hand, durch das Gras auf das unschuldige Geschöpf zu. Ein entschiedener Griff, und - schwupps - verschwindet der eben noch leuchtende Käfer im Gefäß. "Ich hab' ihn!" Glühwürmchen-Schicksal.

Kita-Alltag im Alpenvorland? Weit gefehlt. Inmitten des sanften Hügellandes der Toskana, wenige Kilometer südwestlich von Florenz, liegt das Castello di Fezzana. Ein wenig abseits der Straße von Montelupo nach Montespertoli ruhen die alten Castell-Gemäuer erhöht zwischen den mit Rebstöcken und Olivenbäumen bepflanzten Hängen. Gut zwei Dutzend Ferienwohnungen berherbergt das Castello, einst Adelssitz und Weingut, in seinem Haupthaus und drei angrenzenden renovierten Gebäuden. Etwa die Hälfte der Apartments hat der Marburger Reiseveranstalter "Bambino-Tours" für seine Gäste reserviert. Eltern-Kind-Reisen, mit umfangreichen Betreuungsangeboten für Kinder sind ein Markt mit Konjunktur.

Es ist trubelig im Spiele- und Bastelraum unterhalb des alten Wirtschaftsgebäudes. Weit geht von hier der Blick in das Land, dessen Horizont die ganz hinten im Dunst liegenden Apenninen markieren. Anna und Sarah haben keine Augen dafür, ihre ganze Aufmerksamkeit gilt den zwölf Kindern, die eifrig an Ritterrüstungen, Masken, Schilden und Lanzen herumwerkeln. Zwischen drei und zwölf Jahren alt sind die Kinder, die Anna und Sarah wochenweise betreuen. "Manchmal braucht man schon Geduld und starke Nerven. Vor allem aber macht es Spaß", erzählt Anna. Sie ist 26 Jahre alt, studiert Italianistik, Sinologie sowie Publizistik und ist bereits zum fünften Mal als Kinderbetreuerin für "Bambino-Tours" unterwegs. Wie Sarah, ebenfalls 26 und staatlich anerkannte Sozialpädagogin, hat auch Anna in jungen Jahren in Freizeitzentren, Teestuben und kirchlichen Jugendgruppen gejobbt. Das schult und härtet ab - auch für einen Haufen kleiner Ritter, der sich inmitten der Toskana tummelt.

Die Stille, die über dem Land liegt, ist Balsam für die Seelen von uns Städtern. Sie wird auch tagsüber nur vereinzelt vom Knattern eines Piaggio oder einer Vespa durchbrochen. Die Toskana ist vielleicht die europäische Kulturlandschaft. Hier ist es sinnfällig, daß das lateinische Wort cultura übersetzt Landbau bedeutet, denn diese Landschaft ist im schönsten Sinne vom Menschen gestaltet - von Bauern, von Winzern, von Künstlern. Hier lebt das Klischee und ist doch keines: Wenn die tiefstehende Abendsonne über das sanft gewellte Land streicht und die Blätter der Olivenbäume silbern glänzen, dann scheint alles wie selbstvergessen in sich zu ruhen. Und der Blick vom Castello di Fezzana hinab suggeriert ein Gefühl von Heimat. Kein Wunder, daß die Toskana Ziel aller Sehnsucht ist.

Aber nicht für jeden. Kinder lieben das Meer. Eltern manchmal auch. Heute ist betreuungsfreier Tag. Also rein ins Auto, Strandsachen eingepackt und los. Eine gute Autostunde entfernt wartet das Mittelmeer, gleich links vom schiefen Turm von Pisa. Die Tochter, vier Jahre alt, freut sich. Der Straßenverkehrsgott meint es jedoch nicht gut mit uns. Nach zwanzig Minuten der erste Stau. Das Meer ist noch weit.

Als es dann nah ist, ist es flach, ein graublauer Teppich, regungslos in diffusem Licht unter einem weißlich-blassen Himmel liegend. Marina di Pisa, ein Ort, der seinen Charme geschickt zu verstecken weiß - wie der Küstenstrich zwischen Viareggio und Livorno insgesamt. Warum sind wir nicht im Castello geblieben? Warum nicht an unserem Pool mit Aussicht? Strandsachen eingepackt, rein ins Auto und schnell zurück. Diesmal geht's ohne Stau. Daheim im Castello, stürmt die Tochter auf die Schaukel zu, wir entkorken eine Flasche Chianti (der hier übrigens anders als in Deutschland nahezu überall schmeckt - ein Urlaubsphänomen!) und lehnen uns in den Liegestühlen zurück. So mundet Erholung.

"Papa, guck mal, ich bin hier oben!" Der Ruf zerschneidet die Stille. O Gott, ja, ääh - "Prima, super hast du das gemacht!" Die Tochter hat die Schaukel gegen einen Olivenbaum eingetauscht und sich hoch bis in die Krone gestemmt. Sind die Äste nicht ein wenig arg dünn? Nein, sie scheinen zu halten. Nur keinen Stress, bitte. Die Tochter klettert wohlbehalten herab. Geht doch. Morgen ist auch noch ein Tag - dann wieder mit Kinderbetreuung.

Mehr als 400 Bewerbungen, meist von jungen Frauen, hat "Bambino-Tours" im vergangenen Jahr für Kinderbetreuungsjobs registriert, Tendenz steigend. Genommen wurden schließlich 30. Gut zwei bis drei Monate dauert das Auswahlverfahren, inklusive der schriftlichen Bewerbung und verschiedener Eignungsvorgespräche. Im Anschluß daran gibt es meist im April ein einwöchiges Vorbereitungsseminar, in dem pädagogisch-praktische Fragen im Mittelpunkt stehen: Wie kann ein Spieleplan für eine Woche aussehen? Was mache ich bei Problemen mit Kindern oder Eltern?

"Es kommt natürlich immer auf die Gruppe an", sagt Anna. Manchmal falle es einem Kind etwas schwerer, sich zu integrieren, in der Regel aber gebe es keine Probleme. Auch nicht in den Teams, in denen jeweils zwei oder drei Betreuerinnen zusammenarbeiten. Es gebe zwar wenig Privatsphäre, erzählt Sarah, aber man verstehe sich gut. "Wir verbringen ja auch unsere Freizeit miteinander" - die Zeit, die noch bleibt nach 35 Stunden Kinderbetreuung in der Woche. "Ich habe gelernt, mich abzugrenzen", ergänzt Anna. "Man muß schnell abschalten können."

Was Anna und Sarah im Castello di Fezzana auf die Beine stellen, kommt an. Offenbar spielerisch gewinnen die Kinder Vertrauen - was die Eltern natürlich mit Wohlwollen sehen. Die Tochter geht gern bei Sarah an der Hand. Auch eine Form des Zutrauens. Vormittags und nachmittags wird in der Gruppe gespielt, das Mittagessen bei den Eltern eher als lästige Pflicht empfunden. Einmal die Woche steht Ganztagsbetreuung auf dem Programm, und einmal kümmern sich Anna und Sarah auch abends um die Kids.

In der ehemaligen Scheune, neben dem Hauptsitz des Castello gelegen, wird aufgetischt. Marte, die Hausdame, hat für Eltern und Kinder gekocht - eingelegte Vorspeisen, Wild, Fleisch, Nudeln. Es gibt Wasser, Wein und Saft. Alles fließt in Strömen, bis die ersten Kinder schwächeln (wegen der Müdigkeit, nicht wegen des Weingenusses, versteht sich). Solche Eltern-Kind-Aktionen sind programmatischer Bestandteil des Bambino-Konzepts. Ebenso gemeinsame Ausflüge an einem Tag in der Woche, etwa in das touristisch verstopfte Siena oder in das wesentlich beschaulichere Volterra. Anna und Sarah sind immer mit von der Partie, sechs Stunden turnen sie mit den Kurzen durch die Stadt, und die Eltern haben Auslauf. Erschöpft sind am Ende alle. Gemeinsam fahren wir in mehreren Autos zurück ins Quartier - wo das Spielen weitergeht. Kinder erholen sich schnell . . .

Der Himmel ist wolkenverhangen an diesem Abend. Es beginnt ein wenig zu regnen. Glühwürmchen leuchten heute nicht. Morgen geht es zurück nach Hamburg. "Mama, Papa, ich möchte hier immer Urlaub machen." Mehr geht nicht. Ist das Kind zufrieden, sind's die Eltern auch.