Trentino: Faszinierendes Lebensgefühl zwischen Alpengipfeln und Gardasee. Kunst und Kultur, aber auch Natur und Geschichte haben die autonome Provinz mit einer geradezu verschwenderischen Schönheit bedacht.

Seit in Bayern und Tirol der Bär los ist, hat auch Umberto Vecellini aus Trient, der Hauptstadt der norditalienischen Provinz Trentino, keine Ruhe mehr. Denn Umberto, ein stämmiger Mann mit sonnengebräuntem Gesicht, dem man ansieht, daß er fast sein ganzes Leben draußen in der Natur verbracht hat, ist Leiter eines italienischen Naturfreundevereins. Fast täglich führt er Wandergruppen zu den landschaftlichen Schönheiten zwischen Alpen und Gardasee. Und zu denen gehört auch der Adamello-Brenta-Naturpark

Dort, im gebirgigen Nordwesten des Trentino, haben Naturschützer des WWF vor sieben Jahren des Projekt "Life Ursus" gegründet - eine Organisation, die sich für das Überleben der letzten Braunbären Europas einsetzt. Der Adamello-Brenta-Park, mit 618 Quadratkilometern das größte von insgesamt drei Naturschutzgebieten im Trentino, ist der Geburtsort des zotteligen Herumtreibers, der seit Wochen Jäger und Tierexperten in den Alpen beschäftigt.

Daß Meister Petz alias "Bruno", von Wissenschaftlern nur "JJ1" genannt, das Prädikat "unberechenbarer Bursche" wohl zu recht bekam, muß auch Umberto zugeben. Seine Mutter, so vermutet er, habe leider versäumt, ihm rechtzeitig die Scheu vor menschlichen Siedlungen beizubringen - das unterscheidet ihn von den anderen Jungbären, die seit 1999 in dem Gebiet zur Welt kamen. Rund zwanzig Braunbären seien bereits im Adamello geboren worden, seit "Life Ursus" neun Bärenmütter aus Slowenien übernahm und im Trentino ansiedelte, erzählt Umberto. "Und mit keinem von ihnen hatten wir bisher Probleme."

Trentino: Wie ein Schmetterling mit ausgebreiteten Flügeln, dessen Rumpf das Etschtal zwischen den Städten Trient und Rovereto bildet - so schmiegt sich diese kleine autonome Provinz an den Südrand der Alpen. Nur knapp 480 000 Einwohner leben hier auf einer Fläche von 6200 Quadratkilometern (das entspricht knapp der Hälfte Schleswig-Holsteins) - kein Wunder also, daß viele Autotouristen die winzige Region für ein Anhängsel Südtirols halten und sie auf ihrer Reise in den Süden buchstäblich links liegen lassen. Schade eigentlich, denn Kunst und Kultur, Natur und Geschichte haben das Trentino mit geradezu verschwenderischer Schönheit ausgestattet - so verschwenderisch, daß "dieses Land nur von den Göttern gesegnet sein kann" (Goethe).

"Wie sehnlich wünschte ich mir Dich an meiner Seite, damit Du Dich mit mir der Aussicht freuen könntest", schrieb Goethe im September 1786 begeistert an seine geliebte Freundin Charlotte daheim im thüringischen Weimar. Nur der italienische Kutscher brachte etwas Unruhe in das Reisevergnügen des Dichters und hielt ihn davon ab, das "köstliche Schauspiel der Natur", das ihn südlich der Alpen empfing, ungetrübt zu genießen. Denn immer wieder, so notierte er im Tagebuch seiner italienischen Reise, sei der Postillion auf dem Kutschbock eingeschlafen und habe den Pferden freien Lauf gelassen. "So kam ich denn, zwischen hohen Felsen hindurch, sehr geschwind und im schnellen Trab den reißenden Etschfluß hinunter . . ."

Heute können die Urlauber ihren PS-Droschken freien Lauf lassen. Nicht einmal zwei Autostunden sind es vom Brennerpaß an der italienischen Grenze ins Herz des Trentino - zum Gardasee. Ein Landschaftsmosaik der Formen und Farben tut sich vor dem Autofahrer auf, sobald er die Dolomiten mit ihren 3000 Meter hohen Felsdomen hinter sich gelassen hat. Das Etschtal, eben noch von schroffen Felswänden eingezwängt, weitet sich zu einer lieblichen Hügellandschaft. Wildbäche sprudeln in den Seitentälern, Wiesen, Weinreben und Apfelplantagen ziehen sich über sanft gerundete Bergkuppen, und vom Süden her weht ein milder mediterraner Wind, der Oliven und Zitrusfrüchte reifen, Palmen und Zypressen wachsen läßt.

"Wir haben hier die beste Luft Italiens", behauptet auch Umberto Vecellini. "Die Lage ist einfach ideal. Sie schafft ein Klima, in dem alpine Pflanzen ebenso gedeihen wie subtropische Blumen. Und: In kaum einem anderen Gebiet Europas wird so viel für die Natur getan. Mit unseren drei Parks steht mehr als ein Viertel des gesamten Trentino unter Naturschutz. Es gibt mehr als achthundert Kilometer ausgeschilderte Wanderwege. Und außer dem Lago di Garda noch rund dreihundert weitere Seen - also fast so viele wie in Finnland."

Was für Umberto das Trentino besonders reizvoll macht, ist die unmittelbare Nähe von Natur und Stadt, von unberührter Landschaft und urbaner Lebensweise. Trient (italienisch: Trento), schwärmt Umberto, sei die schönste Stadt der Alpen - eine kleine Metropole mit großer Vergangenheit. Fürstbischof Bernhard von Cles hat das Städtchen im 16. Jahrhundert zur prächtigen Residenzstadt ausbauen lassen, in Vorbereitung für eine der wichtigsten Konferenzen der Kirchengeschichte - das Trienter Konzil. Zwei Jahrzehnte lang, von 1545 bis 1563, war Trient der geistliche Mittelpunkt, auf den die gesamte abendländischen Welt blickte: Kaiser Karl V. und alle kirchlichen Würdenträger des Habsburger Reiches haben sich hier versammelt, um eine Antwort zu finden auf das Schreckgespenst, das damals die römische Kirche bedrohte - die Reformation und die Lehren Martin Luthers.

Jahrhundertelang bildete das Trentino die geographische und kulturelle Brücke zwischen den Alpenländern und Italien, es war Grenzland und das strategisch wichtigste Durchzugsgebiet zwischen Nord- und Südeuropa. Römer und Langobarden, Venezianer und die Veroneser Fürsten der Scaliger, später auch die Truppen Kaiser Napoleons und die Österreicher. Sie alle stritten um die Vorherrschaft am Gardasee und in Oberitalien. In Rovereto am Leno, einem Nebenfluß der Etsch (italienisch: Adige), eingebettet zwischen Weinbergen und Obstplantagen, sind diese Einflüsse noch heute sichtbar - an den zahlreichen Palästen mit ihren prächtigen Renaissance-Fassaden, diesen Zeugen einer jahrhundertelangen Herrschaft der Venezianer. Man muß sich Zeit lassen beim Stadtbummel, um in den verwinkelten Gassen die vielen verborgenen Details zu entdecken - den Markuslöwen auf dem Marktplatz zum Beispiel, einst das Machtsymbol der Lagunenrepublik. Oder die dekorativen Freskenmalereien an den Wänden, welche die Bewohner Roveretos im Mittelalter vor Pest und Cholera schützen sollten.

Knapp dreißig Kilometer sind es von Rovereto nach Riva del Garda, touristisches Schmuckstück am Nordufer des Gardasees, Mekka aller Italienurlauber zwischen Trento und Toskana. Schon am Vormittag herrscht Hochbetrieb auf der Uferpromenade. Dicht an dicht drängen sich Cafes und Eisdielen, Boutiquen, Souvenirgeschäfte und Restaurants. Und immer lockt der See: Villen und Palazzi, Gärten und Grandhotels, Palmen und Zypressen säumen die Ufer. Das Wasser schimmert in irisierenden Farben - von türkisgrün bis kobaltblau, überzogen von einem Netz silbern glitzernder Wellen. Verständlich, daß Riva del Garda im 19. Jahrhundert zum Sehnsuchtsziel Nummer eins avancierte, zur beliebten Sommerfrische der Reichen und Bekannten.

Thomas Mann und Franz Kafka, Rainer Maria Rilke und Friedrich Nietzsche: Sie alle fanden sich hier ein, fasziniert vom Flair, dem milden Klima und dem leichten Lebensgefühl am Gardasee - damals wie heute der Scheidepunkt zwischen den Alpen und dem mediterranen Italien.