Abendblatt-Redakteur Peter Ulrich Meyer fasst die Woche in der Landespolitik zusammen: Was es mit Schriftlichen Kleinen Anfragen auf sich hat.

Hamburg. Mathias Petersen ist schuld. Wieder einmal. Der wegen seiner Unabhängigkeit bei den eigenen Leuten gefürchtete Sozialdemokrat und frühere Parteichef hat seinen inzwischen wieder regierenden Parteifreunden ein schönes Ei ins Nest gelegt. Petersen erstritt vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht im Dezember 2010 ein Urteil, das die Fragerechte der Bürgerschaftsabgeordneten und die Auskunftspflicht des Senats stärkt. Damals war die SPD noch in der Opposition, Petersen hatte gegen den schwarz-grünen Senat geklagt. "Das Urteil wird uns auf die Füße fallen, wenn wir wieder den Senat stellen", schwante damals aber schon manchem Sozialdemokraten.

Es ist so gekommen. Geradezu entfesselt bombardiert die neue Opposition aus CDU, GAL, Linken und FDP den von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) geführten Senat mit Schriftlichen Kleinen Anfragen (SKA). In den ersten sechs Monaten seit der Wahl des neuen Senats sind 1102 SKA gestellt worden. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr der schwarz-grünen Ära 2008 waren es nur 804. Schon fürchtet der eine oder andere Senator um die Arbeitsfähigkeit seiner Behörde, weil die ausgiebige Frageleidenschaft der Parlamentarier die Kapazitäten etlicher Beamter bindet.

Doch das ist nicht alles: Immer wenn der Senat nach Ansicht eines Abgeordneten auf eine Frage ausweichend, nur teilweise oder gar nicht antwortet, wird die Petersen-Keule geschwungen: Der Parlamentarier reicht eine förmliche Beanstandung bei Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) ein, weil der Senat "nicht ordnungsgemäß" geantwortet habe. Auch wenn Petersen nicht immer ausdrücklich erwähnt wird, er wird mitgedacht. "Das Prinzip lautet: so viel Antwort wie möglich", hatte Verfassungsgerichts-Präsident Gerd Harder in der Begründung des Petersen-Urteils dem Senat mit auf den Weg gegeben. Die Richter setzten dem Recht des Senats auf Auskunftsverweigerung enge Grenzen: Bei drohender Verletzung des Geheim- oder Datenschutzes sowie einer Gefährdung des Staatswohls darf die Landesregierung die Antwort verweigern. Sie muss auch nicht aus internen Beratungen berichten. Das war's.

Der damalige Staatsrat Carsten Lüdemann (CDU), der den Senat in der Verhandlung vertrat, sprach sogleich von einem "bedeutenden Paradigmenwechsel". Das Urteil bedeute "einen erheblichen Mehraufwand für den Senat". Die Ermunterung des obersten Gerichts an die Adresse der Bürgerschaft ist offensichtlich auf fruchtbaren Boden gefallen: Zehn Beanstandungen wegen fehlender Auskünfte des Senats hat es seit dem Regierungswechsel schon gegeben, 28 solcher Fälle waren es in den gesamten drei schwarz-grünen Jahren.

Bürgerschaftspräsidentin Veit fällt die heikle Aufgabe zu, darüber zu entscheiden, ob sie einen Verstoß des Senats gegen die Verfassung erkennt und ihrem Parteifreund Olaf Scholz einen Protestbrief schreibt. Tut sie es, löst sie auf der anderen Seite des Rathauses, bei ihren Parteifreunden im Senat, keine Freudenstürme aus. Tut sie es nicht, werfen ihr die Oppositionsabgeordneten vor, sie sei der Büttel von Olaf Scholz. Veit sitzt - wie viele ihrer Vorgänger(innen) allerdings auch - gewissermaßen zwischen Baum und Borke.

In vier der zehn Fälle hat die Präsidentin den blauen Brief geschrieben. "Da der Senat seiner Antwortpflicht aus Artikel 25 der Hamburgischen Verfassung bei der Beantwortung ... der Schriftlichen Kleinen Anfrage nicht in verfassungsgemäßer Weise nachgekommen ist, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie sich der Angelegenheit annehmen und mir eine überarbeitete Antwort zuleiten würden." So steht es zum Beispiel in Veits Brief an Scholz zu einer Anfrage des CDU-Abgeordneten Klaus-Peter Hesse.

Der hatte sich danach erkundigt, wann Scholz' Antrittsbesuche in Schleswig-Holstein und Niedersachsen stattgefunden hatten oder zu welchem Termin sie geplant seien, ohne eine Antwort zu erhalten. Stattdessen hieß es, es habe drei Arbeitstreffen mit dem Kieler Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen und eines mit seinem niedersächsischen Kollegen David McAllister (beide CDU) gegeben.

Nach der Veit-Intervention antwortete Scholz etwas schmallippig: "Eine nochmalige Überprüfung der Senatsantwort hat zu dem Ergebnis geführt, dass der Senat die Antwort ... in folgendem Sinne präziser fasst: ..." Es folgt schlicht der Termin des Antrittsbesuchs bei Carstensen. Für McAllister gab es damals, Mitte Juni, noch keinen.

Bei Scholz und seinem Umfeld sorgt der nervige Kleinkrieg um die Kleinen Anfragen für Verärgerung. Der Bürgermeister ist mit dem Anspruch angetreten, ordentlich zu regieren. Schlampigkeit bei der Beantwortung von Anfragen oder gar das Beharren auf Herrschaftswissen passen da nicht ins Bild. Auf der Senatsseite reift ohnehin der Eindruck, dass hinter den Beanstandungen politische Methode steckt. "Vor allem bei der CDU gibt es ein empörtes Auftreten wegen Formalien, aus denen eine Staatsaffäre gemacht wird", heißt es. Weil inhaltlich nicht viel für die Opposition zu holen sei, werde eben ein formaler Rechtsstreit zwischen erster und zweiter Gewalt angezettelt.

Carola Veit will klaren Kurs halten. Es gehöre zu ihrem Amt, den Abgeordneten zu ihrem verfassungsgemäßen Recht zu verhelfen. "Das bedeutet unter Umständen, dass ich Olaf Scholz einen Brief wegen Verstoßes gegen die Auskunftspflicht des Senats schreiben muss", sagt die SPD-Politikerin. Veit weiß: Wenn sie in ihrem Amt den Anschein der Parteilichkeit erweckt, ist es um ihre Reputation aufseiten der Opposition geschehen. Aber Veit hat auch nicht vergessen, dass sie als Oppositionsabgeordnete eine der eifrigsten Verfasserinnen Kleiner Anfragen war.