Abendblatt-Redakteur Andreas Dey beobachtet die Landespolitik in Hamburg und berichtet darüber in “Die Woche im Rathaus“.

Wer wissen wollte, wie es um Hamburgs möglicherweise nächste Regierungsspitze bestellt ist, wurde in dieser Woche an einem ungewöhnlichen Ort fündig. Der Weg führte vorbei an szenetypisch abgewetztem Kneipenmobiliar, durch ein knarzendes Hinterhoftreppenhaus hinauf in einen Saal, von dessen hohen Decken sich spakige weiße Farbe löste. Aus dem Fenster fiel der Blick auf ein gelbes Gebäude namens Rote Flora. Schein und Sein.

Im "Haus 73" am Schulterblatt trafen sie also erstmals in diesem Wahlkampf öffentlich aufeinander, der Ich-bin-so-gut-wie-sicher-Erster-Bürgermeister Olaf Scholz von der SPD, und Anja Hajduk, Spitzenkandidatin der GAL und, wenn es denn so kommt, wie alle Umfragen voraussagen, mögliche Zweite Bürgermeisterin. Aber kommt es überhaupt zu Rot-Grün? Ist die Neuauflage des Bündnisses, das von 1997 bis 2001 schon einmal regierte und an das sich grüne Zeitzeugen eher ungern erinnern, schon besiegelt? Man möchte gern, ja, das sagen beide. Aber kann man auch miteinander?

Vor allem den Grünen geben zwei Ereignisse aus dieser Woche zu denken. Da war zum einen die Präsentation von Handelskammer-Präses Frank Horch als künftigen Wirtschaftssenator in einem Kabinett Scholz. Die Benennung des parteilosen Experten ändert zwar nichts an dem Grundkonflikt zwischen der Hafen-dominierten SPD-Wirtschaftspolitik und den grünen Vorstellungen von "Kreativwirtschaft". Aber Horch als ein Vertreter der traditionellen Hamburger Wirtschaftsschule ist das klare Signal von Scholz an die GAL, dass er an diesem Punkt nicht mit sich reden lassen will. Im "Haus 73" ließ Hajduk zwar kurz durchscheinen, dass sie wenig begeistert von der Personalie ist ("Ob wir brüskiert sind oder nicht, ist doch gar nicht die Frage"), deutete sie aber gleich positiv um: So werde deutlich, dass SPD und GAL zwei verschiedene Parteien mit unterschiedlichen Zielen sind. "Horch passt ins Bild der Scholz-Politik", sagt auch GAL-Fraktionschef Jens Kerstan, um demonstrativ selbstbewusst hinzuzufügen: "Für mich ist entscheidend, welche Politik die SPD machen will, und nicht, wen sie für den Senat nominiert."

Diese Möglichkeit zur inhaltlichen Abgrenzung und Profilierung kommt den Grünen durchaus gelegen - vor allem mit Blick auf das zweite wichtige Ereignis der Woche. Einer NDR-Umfrage zufolge liegt die Linkspartei nur noch bei fünf Prozent, was bei der GAL folgendes Horrorszenario auslöst: Linke und FDP verpassen am 20. Februar mit je knapp unter fünf Prozent den Einzug in die Bürgerschaft, fünf Prozent gehen an die Splitterparteien und der SPD reichen dann 43 Prozent zur absoluten Mehrheit - das ist exakt ihr aktueller Umfragewert. Die GAL, die die Neuwahlen herbeigeführt hatte, indem sie ohne Not das Bündnis mit der CDU aufgekündigt hatte, hätte dann mit Zitronen gehandelt.

"Wer Rot-Grün will, muss Grün wählen", lautet folgerichtig das Motto der GAL für die kommenden Wochen. Was zwangsläufig die mitunter absurde Aufgabe mit sich bringt, denjenigen angreifen zu müssen, mit dem man unbedingt koalieren will. Man mache sich "faktisch Konkurrenz", befand Hajduk bei der Diskussion der "Tageszeitung" im Schanzenviertel, während Scholz die Grünen zwar großzügig als eigenständige Partei lobte ("Die GAL ist nicht Fleisch vom Fleisch der SPD"), aber dafür plädierte, doch "lässig" miteinander umzugehen. Und Hajduks Versuch, den Zwist über den Rückkauf der Energienetze offenzulegen, konterte Scholz mit dem Verweis auf den Öko-Versorger Hamburg Energie, über dessen Förderung man ja "ziemlich einig" sei.

Das Kalkül scheint klar durch: Mit Horch wildert die SPD noch stärker als ohnehin im CDU-Lager, die FDP hat Scholz schon für überflüssig und seine Partei zur "Alleinerbin" der sozialliberalen Tradition erklärt - jetzt muss er nur noch die Grünen kleinkriegen. "Das sind schon wieder die alten Sozialdemokraten, wie wir sie kennen-, aber nicht liebengelernt haben", registrieren GALier wie Kerstan und erinnern an die Arroganz der SPD im ersten rot-grünen Bündnis.

Zehn Jahre später könnte sich die Geschichte wiederholen. Wenn Scholz mit großer Entourage und schon mit den Personenschützern, die früher auch Bürgermeister Ole von Beust bewachten, den Raum betritt, und Hajduk sich dahinter fast unbemerkt hineinschleicht, scheint die Sache mit dem Koch und dem Kellner geklärt. Intellektuell begegnen sich die beiden Spitzenkandidaten allerdings auf Augenhöhe. Man kennt sich, unter anderem aus der Erstauflage von Rot-Grün in Hamburg und aus gemeinsamen Zeiten auf Bundesebene, und schätzt sich - als Partner wie als Gegner. Die meisten Sozialdemokraten geben sich daher auch keinen Illusionen hin, wie Koalitionsverhandlungen mit der Hajduk-GAL ablaufen könnten: "Das wird hart." Inhaltlich, wohlgemerkt.

Menschlich dürften Rote und Grüne dagegen schnell wieder zueinanderfinden. Dass viele GALier zu Zeiten von Schwarz-Grün noch eine herzliche Abneigung zur SPD zelebrierten, soll jetzt vorbei sein. Scholz und Hajduk machten es bereits vor: Nach der Debatte im "Haus 73" ging es noch auf ein Glas zum Griechen "Olympisches Feuer". Angeblich steckt keinerlei Symbolik dahinter.