Abendblatt-Redakteur Peter Ulrich Meyer über die Grünen in Hamburg und die ungeklärte Führungsfrage in der Diskussion um den Landesvorstand.

Wenn die Spitzen der GAL am Dienstag zu einem Landesausschuss, einer Art kleinem Parteitag, zusammenkommen, dann geht es vordergründig vor allem um ein neunseitiges Papier. Der Landesvorstand hat unter der Überschrift "Für eine neue Vertrauens- und Streitkultur in der GAL" erste Konsequenzen aus dem für die Grünen enttäuschenden Wahlausgang der Bürgerschaftswahl zusammengefasst.

Das Papier enthält so ehrenwerte Vorschläge wie die nach Einrichtung einer Arbeitsgruppe zum Wahlrecht oder einer Satzungskommission. Über das Hauptthema der GAL wird auf dem Konvent offen kaum gesprochen werden, obwohl es in allen Köpfen ist: Wer wird am 29. Oktober auf der Landesmitgliederversammlung für den Posten des oder der Landesvorsitzenden und des Stellvertreters kandidieren? Die Lage ist ungewisser denn je, aber spannend.

Die erste Frage lautet: Tritt Parteichefin Katharina Fegebank erneut an? "Ich überlege noch", sagte Fegebank in dieser Woche. Zwar nennt die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Uni Lüneburg berufliche und private Gründe, die sie zögern lassen. Aber das ist nicht alles: Fegebank ist nicht unumstritten. Kritisiert wird, dass sie die Partei nicht mit konzeptionellen Ideen führt, sondern eher moderiert und nach innen und außen kommuniziert.

Etwas Wichtiges kommt hinzu: Es gibt eine breite Forderung der Mitglieder-Basis nach größerer Eigenständigkeit der Partei gegenüber der Bürgerschaftsfraktion, die das Tagesgeschäft der GAL dominiert. Viele Grüne sehen es daher als unerlässlich an, dass die neue Parteichefin nicht der Bürgerschaft angehört. Fegebank ist aber, wie ihr Stellvertreter Anjes Tjarks, seit der Wahl Bürgerschaftsabgeordnete.

Angesichts dieser Ausgangslage gilt es als sehr unwahrscheinlich, dass Fegebank und Tjarks das Führungs-Duo der GAL bleiben werden. Gegen die beiden spricht auch, dass es wegen des Wahlausgangs einen Wunsch nach Veränderung in der GAL gibt. Bei den Wahlen zum Fraktionsvorstand hatte sich mit Jens Kerstan bereits der Amtsinhaber durchgesetzt. Mit Ex-Spitzenkandidatin Anja Hajduk wurde die Hauptverantwortliche des Wahlergebnisses Kerstans Stellvertreterin. Wenn nun auch Fegebank und Tjarks auf ihren Posten blieben, wäre das in den Augen vieler eben kein Signal des Aufbruchs.

Die Wahlen zum Fraktionsvorstand haben ihre Spuren hinterlassen und beeinflussen die Gemengelage bei der Kür der neuen Parteispitze: Ex-Justizsenator Till Steffen war in der Kampfabstimmung klar mit drei zu elf Stimmen gegen Kerstan unterlegen. Für internen Wirbel sorgte Hajduk, die Steffen erst zur Kandidatur aufgefordert haben soll, ihn dann aber nicht gewählt hat. Darüber war die Bundestagsabgeordnete und Ex-Senatorin Krista Sager so empört, dass sie ihrem Ärger in einer größeren Runde Luft machte. Plötzlich ist ungewiss, ob Sager auf eine erneute Bundestagskandidatur 2013 verzichtet, um Hajduk Platz zu machen, der Ambitionen nachgesagt werden, auf die Bundesebene zurückzukehren. Die beiden Frauen haben in der Vergangenheit schon zweimal aufeinander Rücksicht genommen. Einmal ließ Sager, einmal ließ Hajduk der jeweils anderen bei einer Bundestagskandidatur den Vortritt.

Sager, die sich nach wie vor GAL-intern einmischt, und wohl auch Hajduk würden eine Kandidatur Steffens für den Landesvorsitz vermutlich unterstützen. Dem intellektuellen Juristen trauen etliche zu, der Partei in der schwierigen Phase der Desorientierung nach dem Platzen der großen Grünen-Projekte Primarschule und Stadtbahn inhaltliche Impulse zu geben. Steffen verfügt auch durchaus über Rückhalt in der Partei, aber er ist wie Fegebank und Tjarks auch Bürgerschaftsabgeordneter. Auch wegen der Stimmungslage hinsichtlich der Trennung von Parteiamt und Mandat sagt Steffen hinsichtlich des Landesvorsitzes: "Ich sehe mich da nicht."

Dies könnte die Stunde eines Jokers sein: Manuel Sarrazin, der GAL-Bundestagsabgeordnete aus Harburg. Sarrazin verfügt über großes Ansehen im Landesverband, hat sich aber auch noch nicht festgelegt, ob er antreten soll. Dem entschiedenen Europa-Politiker wird jene Unabhängigkeit gegenüber dem Rathaus zugetraut, die sich viele Grüne wünschen. Doch es gibt einen gravierenden Nachteil: Sarrazin ist ein Mann, und zwei Männer an der Spitze von Partei und Fraktion wären in der GAL kaum durchsetzbar.

Dies ist ein starkes Argument für Fegebank, zu der unter den Frauen nach allgemeiner Einschätzung keine Alternative in Sicht ist. Die Parteichefin soll in einer Sitzung des Landesvorstands gesagt haben, dass sie vor der Sommerpause entschlossen war, auf eine Wiederwahl zu verzichten. Derzeit laufen parteiinterne Versuche, sie umzustimmen. So hat Fraktionschef Kerstan ein Interesse daran, dass Fegebank gewählt wird. Im Falle eines Vorsitzenden Sarrazin würde der Druck wachsen, dass eine Frau die Fraktion leitet. Kerstan werden Sympathien für die Variante nachgesagt, den früheren Abgeordneten und Schulpolitiker Michael Gwosdz als Parteivize vorzuschlagen. Damit wäre dem Wunsch der Partei-Basis nach einem Gegengewicht zur Bürgerschaftsfraktion Rechnung getragen.

Wegen der ungeklärten Führungsfrage ist die Diskussion über das Papier des Landesvorstands zu Konsequenzen aus der Bürgerschaftswahl vorerst eine Trockenübung. Vorstellbar ist daher, dass die Vorlage im Landesausschuss nur zur Kenntnis genommen, aber nicht beschlossen wird.

Es wird auch noch eine Weile dauern, bis die Partei die Frage diskutiert, ob sie ihren Namen GAL aufgibt und sich nur noch Grüne nennt. Grün-alternativen Traditionalisten wird so viel Modernisierung, die vor allem von jüngeren, häufig zugezogenen Mitgliedern vorgetragen wird, zu weit gehen.