Das Schreckgespenst der Hamburger CDU heißt Berlin. Die Unionschristen in der Hauptstadt sind schon seit 2001 in der Opposition. Die Partei hat sich regelrecht zerlegt, Vorsitzende und Spitzenkandidaten verschlissen und vor allem eines gepflegt: die Kunst der Beschäftigung mit sich selbst, um möglichst unattraktiv für die Wähler zu sein.

Das letzte Ergebnis der CDU bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2006 betrug 21,3 Prozent. Die Elb-Union hat bei der Bürgerschaftswahl am Sonntag nach neunjähriger Regierungszeit gerade 21,9 Prozent eingefahren und fast die Hälfte ihres Stimmenanteils verloren. "Schlimmer kann es nimmer kommen, meinen viele", sagt Frank Schira, bis zur Wahl Partei- und Fraktionschef. "Doch auch das ist möglich", fügt Schira hinzu. Eben, Berlin.

Die Angst vor der Selbstzerfleischung nach dem Wahldesaster war in der Union bislang etwas größer als die Lust, es diesem oder jenem in der Partei heimzuzahlen. Viel hätte aber nicht gefehlt, und die ersten Kämpfe wären noch am Wahlabend ausgebrochen. Viele Christdemokraten rieben sich während der Rede von Bürgermeister Christoph Ahlhaus auf der "Wahlparty" im Hotel Elysée verwundert die Augen. Der Spitzenkandidat fand Schuldige für das schlechteste Wahlergebnis der CDU aller Zeiten - Ole von Beust, Schwarz-Grün, die GAL im Besonderen, die ungünstigen Umstände - nur einen ließ er aus: sich selbst. Manche Zuhörer hatten den Eindruck, Ahlhaus bewerbe sich indirekt um das einzig verbliebene wichtige Amt, das des Fraktionschefs.

Amtsinhaber Schira, neben Ahlhaus bislang der mächtigste Christdemokrat, zog andere Konsequenzen aus der historischen Niederlage. Mehrfach betonte er in seiner Rede vor den frustrierten Parteifreunden, dass er an keinem Sessel klebe. Einen Rücktritt als Konsequenz aus dem Wahlergebnis kündigte der Partei- und Fraktionschef aber nicht an. Dennoch traf Schira die Stimmungslage im Saal deutlich besser als Ahlhaus. Ein Punktvorteil.

So schnell kann aus einer Männerfreundschaft belauerndes Misstrauen werden: Am Tag vor der Wahl hatten die beiden Spitzenleute noch eine Aufteilung der Macht angesichts des erwarteten Debakels vereinbart. Danach sollte Ahlhaus den Fraktionsvorsitz übernehmen, Schira sein Stellvertreter werden, aber den Parteivorsitz behalten. Doch diese Rechnung war ohne die Partei gemacht. Die Basis forderte einen personellen Neuanfang ohne Ahlhaus und Schira. Eine Rebellion lag in der Luft.

Der Druck auf die beiden war übermächtig. Am Montagabend kündigte Schira seinen Rücktritt als Parteichef an. Ahlhaus blieb nichts anderes übrig, als nachzuziehen. "Ich strebe den Fraktionsvorsitz nicht an", sagte Ahlhaus.

Stand Schira vor der Wahl im Brennpunkt der Kritik unzufriedener Parteifreunde, so war es nun Ahlhaus. Plötzlich wurden Stimmen laut, die Ahlhaus vorwarfen, seine Frau Simone zu sehr in den Mittelpunkt seiner Kampagne gerückt zu haben. Seine Wahlkampf-Broschüre enthielt neun Fotos mit seiner Frau, so rechneten interne Kritiker vor, obwohl sie gar nicht zur Wahl stand. Und dieses Bekenntnis des Bürgermeisters aus dem Druckwerk galt vielen als zu dick aufgetragen und unhanseatisch: "Unsere Stadt wird jeden Tag schöner - wie meine Frau."

Am Donnerstag gab Schira schließlich auch den Verzicht auf den Fraktionsvorsitz bekannt. Damit war der Weg für Sozialsenator Dietrich Wersich frei, der nun als Fraktionschef kandidiert und verhindern muss, dass die Fraktion in Grabenkämpfe verfällt. Parallel meldete Parteivize Marcus Weinberg Interesse am Parteivorsitz an. Wersich und Weinberg sind Vertreter eines liberalen Kurses und zählten zu den wenigen offensiven Befürwortern der gescheiterten Primarschule in der CDU.

Personalien lassen sich zügig lösen, aber im Kern geht es um die grundsätzliche Frage, welche Ausrichtung die Union künftig verfolgen will. Die 21,9 Prozent sind auch das Ergebnis der Reduzierung auf "CDU pur" - den konservativen Markenkern, der nur noch die Kernwählerschaft anspricht. SPD-Mann Olaf Scholz hat die Wechselwähler der Mitte gewonnen, die die Union diesmal preisgegeben hatte. Doch viele in der CDU, das haben die vergangenen Monate gezeigt, wollen lieber die Nestwärme der eigenen Überzeugung. Mehrheiten sind so in einer liberalen Großstadt nicht zu holen. Die Berliner CDU lässt grüßen, dort war der frühere Spitzenkandidat Friedbert Pflüger mit dem Versuch der liberalen Öffnung innerparteilich gescheitert.

Es gibt Stimmen in der Union, die ein konservatives Gegengewicht zum Fraktionschef Wersich an der Parteispitze fordern. Das Problem: Wer sollte das sein - zumal nach dem Abgang von Ahlhaus? Weinberg gibt sich kämpferisch. "Jeder, der meint, er sei konservativ, kann sich nach vorne arbeiten", sagt der Bundestagsabgeordnete. Ohnehin ist vorgesehen, dass der Parteichef per Mitgliederbefragung gefunden wird. Wettbewerb ist also erwünscht.

Wer den Neustart wagt, muss darauf achten, keine verbrannte Erde zu hinterlassen. Schira wird voraussichtlich Vizepräsident der Bürgerschaft, fällt also nicht ins Bodenlose. Beide, Ahlhaus und Schira, bleiben Kreisvorsitzende - in Nord und Wandsbek. 2013 ist die nächste Bundestagwahl - beide zeigen Interesse an Kandidaturen in ihren Wahlkreisen. Mit der Berliner CDU hätten die beiden dann nichts zu tun ...