Landespolitik-Redakteur Andreas Dey beobachtet für Sie den ungewöhnlichen Wahlkampf in der Hansestadt.

Regierungsparteien genießen in Wahlkampfzeiten ein großes Privileg: Sie können die Bürger durch Handeln für sich einzunehmen versuchen - oder zumindest durch Ankündigungen, denen die Aura des Bürgermeisters Gewicht verleiht und Aufmerksamkeit beschert. Das Geschäft der Opposition ist hingegen naturgemäß nicht das Regieren, sondern die Kritik an den Regierenden. Spielmacher gegen Wadenbeißer würden Fußballer sagen.

Wie schwer es ein Herausforderer gegen einen Amtsinhaber hat, zeigt ein Rückblick auf den Wahlkampf 2001: Auch der seit Jahren als Oppositionsführer bekannte Ole von Beust (CDU) lag seinerzeit in Umfragen nach dem Wunsch-Bürgermeister hinter dem eher farblosen Amtsinhaber Ortwin Runde von der SPD. Seine extrem hohen Beliebtheitswerte - und in Folge auch Wahlergebnisse - erreichte auch von Beust erst aus dem Amt heraus.

Gemessen an diesen üblichen Vorzeichen erlebt Hamburg einen paradoxen Wahlkampf: Die oppositionelle SPD handelt, die regierende CDU reagiert, Herausforderer Olaf Scholz tritt schon wie der Präses des Senats auf, während Bürgermeister Christoph Ahlhaus die Rolle des Wadenbeißers eingenommen hat und mit Warnungen vor seinem Kontrahenten zu punkten versucht.

Mit seinem Coup, den damaligen Handelskammer-Präses Frank Horch als Schatten-Wirtschaftssenator für die SPD zu gewinnen, hatte Scholz Ahlhaus schon das wichtige Thema Wirtschaft aus der Hand genommen. Statt damit punkten zu können, dass Hamburg die Wirtschaftskrise unter CDU-Führung relativ gut überstanden hat, muss der Bürgermeister seitdem erklären, warum die Opposition ihm den bekanntesten Fachmann weggeschnappt hat. Eine undankbare Situation.

In dieser Woche legte die verkehrte Wahlkampfwelt noch ein paar Umdrehungen zu. Am Montag unterzeichnete Scholz mit dem Landeselternausschuss LEA öffentlichkeitswirksam eine Vereinbarung: Die SPD nimmt die Kita-Gebührenerhöhung (des damaligen CDU-GAL-Senats) zurück und schafft die Gebühren weitgehend ab, der LEA stoppt im Gegenzug sein Volksbegehren für komplett kostenlose Kitas. Nach dem Zusatz "sofern die SPD nach der Bürgerschaftswahl die Regierungsverantwortung übernimmt" muss man in der Erklärung ziemlich lange suchen. Über diese aufreizende, mitunter an Arroganz grenzende Selbstverständlichkeit, mit der Scholz von einem Wahlsieg ausgeht, echauffiert sich die CDU jedes Mal aufs Neue. "Er feiert sich bereits als künftigen Ersten Bürgermeister", wetterte Parteichef Frank Schira am Tag des SPD/LEA-Deals. Im Rathaus war sogar von "Amtsanmaßung" die Rede.

Dennoch ging der Punkt an die Genossen. Am CDU-Senat, der damit werben könnte und wollte, dass unter seiner Regie das Kita-System massiv ausgebaut wurde, blieb hingegen der kurz zuvor eingeräumte Makel haften, dass er die Zahl der von der Gebührenerhöhung betroffenen Eltern deutlich zu niedrig angegeben hatte.

Noch am Montag waren die Sozialdemokraten der CDU einen weiteren Schritt voraus und prangerten die Versäumnisse des Senats beim Wohnungsbau an. Im Rathaus, wo die Regierung am Dienstag Erfolge auf diesem Gebiet verkünden wollte, war man erneut nicht amüsiert - die eigene Aktion wirkte nun wie eine Reaktion auf die Oppositionsattacke.

Das Bemühen, selbst in die Offensive zu kommen, nimmt mitunter merkwürdige Züge an. "Wenn Rot-Grün regiert: Ab hier City-Maut zahlen", warnt die CDU jetzt auf Plakaten - was freilich ignoriert, dass die SPD diese Autofahrer-Gebühr ablehnt und auch die GAL mittlerweile eingesehen hat, dass sie dafür keine Mehrheit zusammenbekommt.

Zwei kleine Erfolge, immerhin, nimmt die CDU doch mit aus der Woche. Die Aussicht, die Kölner Theatermacherin Karin Beier als Intendantin für das Schauspielhaus zu gewinnen, könnte den ramponierten Ruf ihrer Kulturpolitik aufbessern. Und auch Scholz bekam das Ahlhaus-Lager einmal zu fassen. In die gebetsmühlenartig auf jeder Wahlkampfveranstaltung vom Bürgermeister angestoßene Diskussion, wie die SPD ihre Wahlversprechen finanzieren will, kommt nun plötzlich Bewegung. Lange war Scholz der Antwort ausgewichen, hatte sich darauf zurückzogen, man werde das Geld - er spricht von 200 Millionen Euro pro Jahr, Ahlhaus von 700 Millionen - im Haushalt "einsammeln".

Als nun SPD-Finanzexperte Peter Tschentscher im Abendblatt erstmals Beispiele nannte, wurde im Regierungslager umgehend der Taschenrechner gezückt und verkündet: Mit diesen Vorschlägen wird das nichts. "Wahlbetrug" warf Ahlhaus seinem Herausforderer vor - zwar zum wiederholten Mal, aber erstmals zeigte es Wirkung.

Noch am selben Tag lud die SPD für kommenden Montag zu einer Pressekonferenz ein. Dann wollen Scholz und Tschentscher erstmals mit Zahlen unterfüttern, was sie sich unter "soliden Finanzen" vorstellen. Aus der SPD heißt es, Scholz verfüge durchaus über einen Plan zur Finanzierung seines "Regierungsprogramms", habe ihn aber bislang zurückgehalten, um keine Angriffsfläche zu bieten. Diese Strategie wird er nun vermutlich aufgeben.

Spannend bleibt, wer durch die Präsentation in die Defensive gerät. Die CDU - weil ihre Kritik am angeblich unseriösen Olaf Scholz damit in sich zusammenfällt? Oder die SPD, weil sie wirklich nichts in der Hand hat? So oder so - der Druck im Kessel steigt.