Philip Volkmann-Schluck, Redakteur für Landespolitik, schaut für Sie hinter die Kulissen des Rathauses und berichtet über kommunale Politik.

Rasierschaum zischt aus der Dose. Der Sozialdemokrat steht im Badezimmer, summt ein Liedchen und lässt die Klinge über seine Wange gleiten. Kurz hält er inne, schaut in die leuchtenden Augen seines Spiegelbildes, um zu üben, was er bald ganz offiziell sagen will - dann allerdings nicht in Hausschlappen, sondern perfekt rasiert im Anzug mit Krawatte: "Sehr geehrte Damen und Herren, im Namen des Senats begrüße ich Sie recht herzlich."

So jedenfalls wird in Fraktionskreisen die Stimmung jener SPD-Politiker beschrieben, die aufstrebend sind oder sich dafür halten. Bei den aktuellen Unfragewerten rechnen sich viele Genossen ein Spitzenamt aus. Geplatzt ist bisher nur der Traum derer, die mit dem Posten des Wirtschaftssenators liebäugelten, denn den soll der ehemalige Handelskammer-Präses Frank Horch bekommen. Weitere Personalien will Spitzenkandidat Olaf Scholz erst nach einem Wahlsieg bekannt geben. Bis dahin wird kein Murren aus der sonst streitlustigen SPD dringen, die sogar ohne Diskussion über ihr Programm abstimmte: Es lag bereits als fertige Broschüre auf den Tischen.

Dennoch: Hinter der Fassade bahnt sich an, wo die alten Widersprüche der so offensichtlich erstarkenden Volkspartei für Zündstoff sorgen werden. Egal, wie die Wahlen ausgehen.

Sichtbar wurde das beim Besuch eines alten Freundes, der sich höchstselbst eingeladen hatte. Man weiß nicht genau, ob sich Olaf Scholz diese Woche über den Besuch von SPD-Altkanzler Gerhard Schröder wirklich gefreut hat. Der Polit-Pensionär schritt vergnügt durch die Räume eines Messehotels, nicht ohne Stolz auf die jüngsten Entwicklungen seines Zöglings, ließ sich mit älteren Damen fotografieren und verteilte Autogramme. Der "liebe Olaf", wie Schröder ihn nennt, hatte damals die Hartz-IV-Reformen mit durchgesetzt, auch wenn er Jahre später ebenso vehement die Reform seiner Reform forderte. Gewerkschaftsvertreter waren beim Termin mit dem "Genossen der Bosse" nicht sichtbar. Die Einladungen gingen eben erst kurz vorher raus, Zeit ist knapp im Wahlkampf. Aber es stand ohnehin die wirtschaftsfreundliche SPD im Vordergrund.

Altkanzler Schröder lobte prompt die Zurückhaltung der Gewerkschaften, die durch geringere Tarifabschlüsse zur Überwindung der Finanzkrise beigesteuert hätten. Ein wichtiges Stichwort: Tarifabschlüsse werden noch zentrales Thema wenn es darum geht, den Haushalt zu sanieren.

Scholz will die Mehrausgaben der Stadt unter dem Strich jährlich auf ein Prozent begrenzen. Verdi-Landeschef Wolfgang Rose, der für die SPD in der Bürgerschaft sitzt und Anfang der Woche auffallend abgetaucht war ("Herr Rose, bitte melden", scherzten SPD-Abgeordnete), tritt jedenfalls für eine dreiprozentige Steigerung der Löhne im öffentlichen Dienst ein. Die Verhandlungen haben begonnen. Rose lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er sich angemessener Entlohnung, nicht den Zielen von Sparplänen verpflichtet fühle: "Wir richten unsere Lohnpolitik nach Produktivität und Inflation", sagte der Gewerkschafter.

Auch wenn ein möglicher SPD-Senat noch an vielen anderen Stellen sparen will, nicht zuletzt um den erklärten Schwerpunkt der kostenlosen Kita-Betreuung umzusetzen: Die Konfliktlinien sind vorgezeichnet. Ob Scholz die Gewerkschaften wirklich "eingenordet" hat, wie er vor Kaufleuten in der Handelskammer sagte, darf zumindest bezweifelt werden.

Olaf Scholz bezeichnet sich als "Realist", er rechne nicht mit einer absoluten Mehrheit. Umfragewerte von 46 Prozent erinnern aber an die Blütezeit der Volksparteien, in der Alleinherrschaften nicht selten waren. Das entspricht jedoch nicht dem Trend zu zersplitterten Parteilandschaften: Viele Wähler sehen ihre Interessen eher durch kleinere Parteien vertreten.

Das Thema Steuererhöhungen etwa, die Antithese zur Unternehmensfreundlichkeit, umgeht Olaf Scholz deshalb. Als würde nicht im SPD-Programm stehen, dass große Vermögen und hohe Einkünfte "gerechter" herangezogen werden müssten. Zusätzliche Belastungen für wen-auch-immer, solche Forderung vermeidet man besser in einem Wahlkampf, der so breit aufgestellt ist.

Auch der Schulfrieden, also zehn Jahre lang keine Reformen anzustreben, ist mit eiserner Hand angeordnet. Wer aber auf Abgeordnetenwatch (abendblatt.de/kandidaten) die Antworten der Kandidaten auf die These liest, ob Kinder "dauerhaft" nicht länger als vier Jahre gemeinsam zur Grundschule gehen sollen und Gymnasien in ihrer jetzigen Form bleiben solle, stößt vielerorts auf ein "Nein". Die SPD-Abgeordnete Gabriele Dobusch etwa verweist in ihrer Antwort gar nicht erst auf den Schulfrieden. "Dauerhaft in der jetzigen Form? Nein." Alle Schulformen müssten sich weiterentwickeln.

Man darf wohl fragen, ob die Abgeordnete ihre Meinung wirklich zehn Jahre lang zurückhalten will.