Abendblatt-Redakteur Andreas Dey fasst die Woche in der Landespoltik zusammen: Vom Bau eines Kraftwerks bis Investitionen in der Schulpolitik.

Hamburg. Millionenlöcher und Verschwendung, geheime Hinterzimmergespräche im Rathaus und eine Partei, die sich anschickt, ganz Norddeutschland zu beherrschen - es hätte die Woche der Aufreger und Skandale sein können. Hätte. Denn bei genauer Betrachtung hatte die Politik vor allem Irritationen ausgelöst und heiße Luft produziert.

"Kreditmaschine für den Senat bei hohen Verlusten", tönte Walter Scheuerl am Mittwoch martialisch. Aufs Korn nahm der Sprecher der Initiative "Wir wollen lernen", der gleichzeitig der CDU-Bürgerschaftsfraktion angehört, ein 120-Millionen-Loch beim "Sondervermögen Schulbau". Klingt nach einem Sparbuch der Schulbehörde, ist aber eine 2009 von der CDU und ihrem damaligen Partner GAL gegründete Behörde, in der 250 Mitarbeiter aus Schul-, Bau- und Finanzbehörde zusammengezogen wurden. Die neue Einheit hat die Aufgabe, Schulgebäude zu bauen, instand zu halten und zu bewirtschaften. Um den enormen Bedarf an neuen Klassenräumen durch Neu- und Anbauten decken zu können, hat sie ausdrücklich die Erlaubnis, Kredite aufzunehmen. Als Sicherheit - so erklärt sich noch am ehesten der bürokratische Begriff "Sondervermögen" - wurden der an die Finanzbehörde angedockten Abteilung die Hamburger Schulgebäude überschrieben.

Die von Scheuerl beklagten "Verluste" in Höhe von 58 Millionen Euro in diesem und 65 Millionen im nächsten Jahr hatte der SPD-Senat schon vor Monaten veröffentlicht - ohne dass es jemanden aufgeregt hatte. Denn das Minus ist vor allem der Transparenz geschuldet: Schulbau macht das, was Experten wie der Rechnungshof immer fordern: mithilfe von Abschreibungen den Wertverlust der Gebäude abbilden. Das drückt halt das "Ergebnis".

Die Woche im Rathaus

Doch Scheuerl kritisierte auch, dass Schulbau Hamburg überhaupt Schulden macht, und forderte: "Schluss mit den Kreditaufnahmen! Die Millionen für Zinsen sind im Neubau von Klassenräumen besser investiert!" Das sorgte für reichlich Verwunderung in Behörden und in den anderen Fraktionen. Die Kredite dienten doch gerade dazu, Schulen zu bauen, sagte ein Schulpolitiker. Insbesondere in der CDU, die das Schulbau-Modell einst mit ins Leben gerufen hatte, kam der Vorstoß des parteilosen Fraktionsmitglieds Scheuerl nicht gut an, wie Abgeordnete einräumten. Zwischen "unangemessener Kritik" und "totaler Schwachsinn" schwankten die Bewertungen. Allerdings wird auch Nachsicht geübt. So sei er halt, der prominente Initiativen-Sprecher, so ein Fraktionsmitglied. Immer für einen Schnellschuss gut, manchmal treffe er, manchmal nicht. Diesmal halt nicht.

Die einzige schriftliche Reaktion auf die Scheuerl-Mitteilung kam übrigens von der FDP. "SPD macht neue Schulden statt gut zu regieren", befand deren Bildungsexpertin Anna von Treuenfels - übrigens eine Mitbegründerin von "Wir wollen lernen".

Leichte Berührungsängste in Richtung Realität offenbarte auch GAL-Fraktionschef Jens Kerstan. "Geheimgespräche beenden - mit Volksinitiative verhandeln", war seine Pressemitteilung am Mittwoch überschrieben. Darin fordert er den Senat auf, nicht länger mit dem Energiekonzern Vattenfall über den Verkauf eines Viertels seiner Stromnetze an die Stadt zu verhandeln. Stattdessen sollte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) lieber mit der Volksinitiative sprechen, die sich für den vollständigen Erwerb der Netze einsetzt - und darin naturgemäß von der GAL unterstützt wird.

Dass der Senat angeblich mit Vattenfall auch über den Bau eines Gaskraftwerks in Stellingen als Alternative zur geplanten Fernwärmeleitung vom Kohlekraftwerk Moorburg auf die andere Elbseite verhandelt, fand Kerstan aber gut: "Ein Gaskraftwerk in Stellingen wäre eine saubere Alternative." Aber "die Hinterzimmer-Verhandlungen mit Vattenfall" müssten beendet werden.

Offensichtlich sind die Erinnerungen an die erst ein Jahr zurückliegende eigene Regierungszeit nicht mehr ganz frisch. Wie es für Senatsmitglieder Alltag ist, hatte seinerzeit auch die grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk "Geheimverhandlungen" geführt, zum Beispiel mit Vattenfall wegen der Umweltauflagen für das Kraftwerk Moorburg. Geheim waren sie aber damals wie heute nur insofern, dass sie nicht auf dem Rathausmarkt stattfanden. Die Tatsache, dass verhandelt wurde, war allgemein bekannt. Auch Scholz erklärt in öffentlichen Reden bereitwillig, dass er mit Vattenfall Gespräche führe, ebenso mit dem Gasnetz-Betreiber E.on. Geheim bleibt nur der Inhalt.

Allerdings hat Kerstan schon einmal bewiesen, wie man vertrauliche Gespräche abrupt zu einem Ende bringen kann. Es ist kaum ein Jahr her, als die Spitzen der schwarz-grünen Regierung mit der HSH Nordbank um die Ablösung von Vorstandschef Dirk Jens Nonnenmacher rangen. Weil der öffentliche Druck anstieg und die CDU aus Sicht des GAL-Fraktionschefs zu zögerlich agierte, stellte er ihr über die Medien ein Ultimatum: Alles andere als eine Entlassung Nonnenmachers werde die GAL nicht akzeptieren. Vor die Wahl gestellt, einen unbeliebten Bankchef oder den einzig möglichen Koalitionspartner zu verlieren, ließ die CDU Nonnenmacher fallen - was nicht wenige bereuten, als die GAL kurz darauf aus anderen Gründen die Regierung trotzdem verließ.

Dass auch die regierende SPD zu merkwürdigen Betrachtungen fähig ist, dokumentierte ausgerechnet ihr Fraktionschef Andreas Dressel. Nach dem Wahlsieg der Genossen in Mecklenburg-Vorpommern verbreitete er schriftlich seine Freude: "Nach Hamburg und Bremen ist das Wahlergebnis ein weiterer Beleg, dass die Sozialdemokratie überall im Norden wieder großes Vertrauen genießt." Überall im Norden? Nun, in den bevölkerungsreichsten Nordländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein sitzt die SPD in der Opposition, dort regiert die CDU. Noch, wollte Dressel wohl sagen.