Sandsteinskulptur, 15. Jahrhundert

Im Diözesanmuseum Paderborn gibt es eine Sandsteinskulptur von Anna und Maria aus dem 15. Jahrhundert, die mich seit Jahrzehnten sehr anspricht. Sie ist eher ungewöhnlich. Sie stellt nicht wie sonst üblich eine sitzende Anna dar, die ihre Tochter Maria bei sich hat und das Jesuskind auf dem Schoß. Diese Skulptur zeigt Anna (links) und Maria (rechts) mit einem Buch. Jesus ist nicht zu sehen.

Es ist für mich zunächst ein Bild familiärer Glaubenskommunikation. Zugewandtheit und Abstand, Nähe und Distanz, Behutsamkeit und Klarheit (der Fingerzeig auf ein bestimmtes Wort) verbinden sich miteinander. Das Bild hat nichts von einer statischen Sitzgruppe, sondern vermittelt ein dynamisches und lebendiges aufeinander Zugehen, um sich dann im Hören und Betrachten des Wortes zu finden. Glaubenskommunikation nicht als Fixierung aufeinander oder als einseitige Indoktrination, sondern als gemeinsames "Berühren" des Wortes Gottes, um es für sich, für seine Generation und Lebenslage "wahrzunehmen". Anna in der direkten Berührung mit dem Zeigefinger; Maria mit dem Griffel, mit dem Instrument der Lernenden, die die Worte noch ganz neu in ihr Herz und ihre Seele eingeschrieben bekommt.

Aber ist das dann eine "Anna Selbdritt" so ganz ohne Jesus? Ich bin überzeugt, der Künstler denkt an die Gegenwart Jesu, des Gottes- und Menschensohnes, im Wort. Jesus ist das Wort des Vaters, das "fleischgewordene" Wort, wie es im Johannesevangelium heißt (Joh 1,1.14). Überall, wo Menschen sich auf das Wort Gottes und seine Heilsgeschichte mit uns hörend und betrachtend einlassen, wo sie diesem Wort Hand und Fuß geben durch ihr Handeln, wirken sie mit an der "Fleischwerdung", bringen sie auf ihre Weise den Gottessohn mit zur Welt.

Jesus Christus, das ewige Wort des Vaters, hat aus der Jungfrau Maria Fleisch angenommen. Schon hier ist er anwesend, in der Mitte dieser Begegnung der beiden Frauen. So ist diese "Anna Selbdritt" ein faszinierendes Zeugnis menschlicher Glaubensgemeinschaft durch die Zeit. Und sie ist ein Urbild dessen, was unsere Kirche mitten in allen Veränderungen zu bewahren hat: das gemeinsame Hören auf das Wort, die Weitergabe der Erfahrungen damit, den Austausch in Distanz und Nähe, in Behutsamkeit und Klarheit, in Autorität und Hingabe, in Leitung und Begleitung, in Überzeugung und Echtheit, in Wertschätzung und Herausforderung.

Die Figuren der Anna und der Maria mögen verschieden groß sein: Sie werden auf Augenhöhe gebracht im gemeinsamen Blick auf IHN, das lebendige Wort. So sollte und kann es auch bei uns heute sein.