Jahrhundert, Kunstmuseum Kolumba in Köln

Die Begegnung mit Kunst ist mir sehr wichtig, weil sich darin das Evangelium verleiblicht. Das Wort ist Fleisch geworden, darin sehe ich die Chance des Kunstwerks. Als ich das romanische Kruzifix zum ersten Mal sah, war mir, als begegne mir der gekreuzigte Christus in einer bis dahin nicht gekannten Wahrhaftigkeit. Der Bildschnitzer des 12. Jahrhunderts hat es wirklich verstanden, Christus als wahren Gott und wahren Menschen darzustellen.

Die Ausstrahlung des weich modellierten Körpers beherrscht einen ganzen Raum. Seine stille Präsenz macht uns sprachlos. Sie ist von einer derart sanften Leiblichkeit, dass wir im wörtlichen Sinne nicht unberührt bleiben. Nicht von ungefähr zeugen die Abnutzungsspuren an den Füßen von der großen Verehrung durch Küssen und Berühren, die dieses Menschenbild in den zurückliegenden Jahrhunderten erfahren haben muss. Gott ist hier ganz Mensch geworden. Gleichzeitig ist der Corpus, vor allem das geneigte Gesicht mit den geschlossenen Augen, Ausdruck einer großen Tiefe; einer unendlichen Sicht nach innen, die den toten Körper transzendiert, die das Menschenbild zum Gottesbild verwandelt.

Unser Glaube wird hier anschaulich: Durch diesen Tod ist der Mensch erlöst worden, durch diesen Tod wird er Erlösung finden. Durch das edle Material des Elfenbeins erreicht der Corpus eine Feinheit und eine Dichte, die mich und viele Menschen auch über 800 Jahre nach seiner Entstehung fasziniert. Von dieser Faszination ist die ungebrochene Aktualität dieses Kunstwerkes getragen und erneuert sich mit jedem Betrachter.

Es war ein Glücksfall, dass Joachim Plotzek, der frühere Direktor von Kolumba, dieses Werk entdeckte. Es ist ein Hauptwerk unseres neuen Kunstmuseums Kolumba und - weit mehr noch - vielen Besuchern ein Trost.