Salvador Dalí, Öl auf Leinwand, 1954

Nicht einfach als Bild der Verkündigung, sondern vielmehr als provokantes künstlerisches Zeugnis metaphysischer Wirklichkeit beschäftigt mich dieses Werk. Dalí wagt es, in nie da gewesener Weise eine moderne Darstellung des Corpus Christi zu zeigen.

Im Mittelpunkt des Bildes steht das im dunklen Raum hell schwebende, großflächige Kreuz. Dalí hatte angekündigt, dass er an einem großen metaphysischen Werk, einem "explosiven, nuklearen und hyperkubischen Christ" arbeite. Er wollte mithilfe geometrisch-mathematischer Präzision Aussagen von transzendenter Mystik abbilden. Vielfach wurde diese Schaffensperiode später auch "nukleare Mystik" genannt. In faszinierender Weise finde ich darin den Satz des Theologen Nicolaus von Cues (1401-1464) umgesetzt: "Können wir uns dem Göttlichen auf keinem anderen Wege als durch Symbole nähern, so werden wir uns am passendsten der mathematischen Symbole bedienen, denn diese besitzen unzerstörbare Gewissheit."

Dalí verbindet meisterhaft Tradition und Moderne: Sowohl die Frauengestalt unter dem Kreuz als auch die Christusfigur selbst sind in altmeisterlicher Art gemalt. Obwohl er deutlich verkrümmt hängt, wirkt der Körper nicht zerschunden, sondern vielmehr fast ätherisch hell. Es zeichnet ihn ein Licht aus, das sich auch auf dem Gesicht und dem Mantel der Frau wiederfindet, ja, das die ganze Szene erleuchtet. Vor allem aber fällt ins Auge, dass er trotz der martialischen Nägel, an denen er aufgehängt sein müsste, irgendwie vorschwebend wirkt, ein Eindruck, der durch die deutlichen Schatten der Arme unterstrichen wird. Dalí gelingt es so, in der ungeheuren Darstellung des Gekreuzigten die Wirklichkeit des Erlösungsgeschehens zu zeigen und zugleich zu verrätseln - und sie so in ihrer metaphysischen Dimension und mystischen Spannung zu belassen. Diese ausgehaltene und gestaltete Spannung fasziniert und beschäftigt am meisten.