Karlheinz Oswald, Bronze, 2005

Die Skulptur befindet sich im Besuchszimmer meines Hauses, steht meinen Gästen und mir also bei vielen Begegnungen direkt vor Augen. Die schlanke, hoch aufragende Gestalt des Heiligen ist ganz in das schwere, bis zum Boden herabfallende Tuch der Mönchs-Cappa gehüllt. Die weite Kapuze der Kukulle umschließt den Kopf. Der Blick geht ins Weite. Trotz eher statischer Haltung, geschlossener Kontur der bergenden Hülle und verhaltener Gebärde ist die Figur innerlich bewegt. Es ist weniger gerichtete Bewegung als Bewegtheit: Einmal ist es ein leichtes Schreitmotiv, das anklingt, vor allem aber ist es das offene Oberflächenrelief der Mantelhülle, in dem innere Durchgeistigung und Belebung ihre äußeren Spuren hinterlassen. Darin kommt der missionarische Eifer, der den Heiligen Bonifatius, den Apostel der Deutschen, zeitlebens erfüllte, eindrucksvoll zum Ausdruck - eine Haltung, die sich aus der Ruhe speist und im Gottvertrauen Größe gewinnt und zur Tat drängt.

Für katholische Christen in Deutschland, aber auch für mich persönlich, spielt der Heilige Bonifatius eine besondere Rolle. Als "Apostel der Deutschen" war er einer der wichtigsten Missionare und Kirchenreformer im Frankenreich, der bis heute deutliche Spuren in unserem Land hinterlassen hat. Doch eine "Verklärung" oder gar "Entrückung" prominenter Persönlichkeiten aus der christlichen Tradition würde ihre nachhaltige Wirkung schmälern und dem historischen Befund in keinster Weise gerecht. Heilige waren Menschen aus Fleisch und Blut, mit Stärken und Schwächen. Das leitet wiederum über zur Kunst von Karlheinz Oswald, der im Heiligen stets den Menschen und nicht das "abziehbildhafte" verklärte Klischee im Blick hat.