im Erfurter Mariendom, Bronze, um 1160

Der Wolfram-Leuchter ist eine der wenigen erhaltenen romanischen Vollplastiken in Deutschland. Fachleute datieren die Figur auf die Zeit um 1160. Der Name Wolfram weist auf den Stifter hin. Er ist auf dem herabhängenden Gürtel der Gestalt vermerkt.

Ich gehe oft an dieser Figur vorbei. Es berührt mich sehr, wenn ich bedenke, dass diese Figur über 800 Jahre lang das Licht empor hält. Was mag diese Figur alles gesehen haben?

Der Lichtträger deutet unsere Aufgabe als Kirche an. Als Christen bekennen wir uns zu dem Licht des Glaubens, das uns als Geschenk von oben zugekommen ist. Es ist in unserer Zeit nicht selbstverständlich, zum Glauben an Gott zu stehen. Ich vergleiche sie einmal mit dem Verweilen in einem Spiegelkabinett. Wer schon einmal in einem war, weiß um die merkwürdige Wirkung auf den Besucher. Wenn die verspiegelten Türen und Fenster geschlossen sind, sieht man, wohin man auch schaut, immer nur - sich selbst. Viele Zeitgenossen können nicht sehen, dass sich hinter den gesellschaftlichen und persönlichen "Spiegelungen", die die Befindlichkeiten, Ängste und Hoffnungen der Menschheit und des Einzelnen reflektieren, ein größerer Horizont auftut. Sie bleiben mit sich, ihren Fragen und Wünschen und manchmal auch mit ihren Illusionen allein.

Der christliche Glaube ist der energische Versuch, den Menschen in allen Generationen immer wieder neu Fenster und Türen zu öffnen, um die ganze Wirklichkeit des Lebens und der Welt wahrzunehmen. Sein Grundtenor ist die Botschaft: Du bist nicht mit dir allein! Die Wirklichkeit ist größer, als du denkst. Es gibt einen Horizont hinter dem, was wir wahrnehmen und begreifen können.

Als vor 20 Jahren die friedliche Revolution neue Lebensverhältnisse im Osten ermöglichte, hielt das niemand für möglich. Die politischen Verhältnisse schienen festgezurrt im Mächtespiel der Großen. Und doch geschah das Wunder. Es gab einen neuen Anfang in Freiheit und für selbstbestimmtes Leben. Das war möglich durch tapfere Menschen, die sich von der Dunkelheit nicht beirren ließen und kleine Lichter der Hoffnung anzündeten. Wir brauchen immer wieder Lichterträger wie Wolfram.