Die Gedenkstätte Plattenhaus Poppenbüttel erinnert an die Frauen-Außenlager des KZ Neuengamme.

"Es war arbeiten oder sterben", schilderte Lucille Eichengreen in einem Zeitzeugengespräch am 10. Februar 2004 unsentimental, kurz und bündig die unerträgliche Situation, die beständige Angst und den quälenden Hunger, den die inhaftierten Frauen im Außenlager Sasel des KZ-Neuengamme erleiden mussten. "Es gab wenig Brot, eine tägliche Scheibe wurde in Sekunden verschlungen. Selbst nach Jahren magerer Rationen weigerten sich unsere leeren, grummelnden Mägen, sich an den Nahrungsmangel zu gewöhnen und protestierten laut und böse. Wir träumten von Brot, fantasierten Brot, stellten uns einen unerschöpflichen warmen Brotlaib vor, den wir Scheibe für Scheibe essen und schmecken würden. Hunger schuf den Traum, Hunger rief uns in die Wirklichkeit zurück."

Diese Wirklichkeit war für die noch nicht zwanzigjährige Cecile Landau zum schrecklichen Albtraum geworden. 1925 als Tochter eines Hamburger Weinhändlers geboren, wurde sie 1941 mit ihrer Mutter und Schwester ins Ghetto von Lódz transportiert. "Meine Mutter ist verhungert, sie starb am 13. Juli 1942", berichtete Eichengreen in einem Spiegel-Interview. "Meine Schwester Karin und ich haben mit unseren eigenen Händen ein Grab ausgehoben und sie begraben." Dann musste sie zusehen, wie ihre jüngere Schwester im Zuge der sogenannten Aussiedlung nach Chelmo gebracht wurde: "Sie stand auf dem Lastwagen und schaute mich mit ihren großen Augen an, bis der Lastwagen verschwand. Ich war doch der letzte Mensch, den sie hatte." Karin wurde ermordet.

Für sie selbst folgte eine Odyssee durch die Vernichtungslager. Im August 1944 kam die einzige Überlebende der Hamburger Kaufmannsfamilie - auch Vater Benjamin Landau war 1942 im KZ Dachau ermordet worden - nach Auschwitz-Birkenau. Zum Arbeitseinssatz eingeteilt, wurde sie in ihre Heimatstadt Hamburg gebracht, im Außenlager Dessauer Ufer auf der Veddel und später in Sasel inhaftiert. Dort mussten 500 Frauen in einer kleinen Baracke unter unwürdigen Umständen hausen. Weil die Hamburgerin gute Deutschkenntnisse hatte, durfte sie im Lagerbüro arbeiten, kam im Zuge der Lagerräumung ins "Inferno Bergen-Belsen". Nach ihrer Befreiung aus den katastrophalen Zuständen im "Aufnahmelager" am 15. April 1945 durch die Briten emigrierte sie über Paris 1946 nach New York. Dort lernte sie ihren späteren Mann Dan Eichengreen kennen, der auch aus Hamburg stammte. Seitdem nennt sie sich Lucille.

Eichengreen ist eine von etwa 30 Frauen, deren Schicksal die "Biografiewand" in der neu eingerichteten Ausstellung im Plattenhaus Poppenbüttel dokumentiert. Es ist das letzte erhaltene Gebäude aus der Behelfswohnheimsiedlung, die ab November 1943 für die Unterbringung ausgebombter Menschen aus Hamburg in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Poppenbüttel errichtet worden war. KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter und Militärinternierte schufteten am Bau unter SS-Aufsicht, darunter auch Frauen aus dem Außenlager Sasel. Die Betonfertigteile wurden teilweise im Klinkerwerk des KZ Neuengamme hergestellt. "Plattenbüttel" - wie die Siedlung im Volksmund hieß - riss man sukzessive ab, Reste wichen dem Alstereinkaufszentrum. Das letzte Haus wurde zur Gedenkstätte erklärt und 1985 mit einer Dokumentation über das Saseler Frauenaußenlager des KZ Neuengamme eröffnet.

In der nun erweiterten Ausstellung bilden "Die Verfolgung von Frauen" und "Die Hamburger Frauenaußenlager des KZ Neuengamme 1944/45" zentrale Themenkomplexe. Große Lesetafeln mit Dokumenten, Fotos und Zeugnissen bieten über die Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und Uckermarck, die Frauenabteilung im KZ Fuhlsbüttel, detaillierte Informationen, die Opfer-Biografien, Berichte über die Verschleppungen, den Alltag und die Lebensbedingungen in den Lagern ergänzen. In acht Hamburger und 16 weiteren Außenlagern des KZ Neuengamme mussten im letzten Kriegsjahr auch Frauen Zwangsarbeit leisten, davon waren zwei Drittel jüdische Frauen, wie Hans Ellger in seinem Buch "Zwangsarbeit und weibliche Überlebensstrategien" feststellt (Metropol Verlag Berlin, 375 S.). Der Autor hat 80 Überlebende interviewt, die "Oral History" in seinem Forschungsprojekt mit Archiv-Quellen, Fakten aus wissenschaftlichen Arbeiten und Biografien ergänzt, wie Lucille Eichengreens 1992 erschienenen Erinnerungen "Von Asche zum Leben" (Donat Verlag Bremen, 238 S.). Unter verschiedenen Aspekten - wie geschlechtsspezifische Hafterfahrungen - hat er das Material aufschlussreich ausgewertet.

"Die Arbeit war schwierig", erzählte Lucille Eichengreen im Spiegel-Gespräch über ihre Leiden im Arbeitslager Dessauer Ufer. "Denn es war Winter, es hat geschneit und geregnet. Wir hatten nur zerlumpte Kleider und so etwas Ähnliches wie einen Mantel. Der hatte einen gelben Streifen von oben bis unten. Wir hatten kahl geschorene Köpfe, es war furchtbar kalt. Und jede von uns bekam Lungenentzündung, Tuberkulose, und wir haben einfach gearbeitet, mit blutigen Händen."

In dieser schweren Zeit lernte Cecile Landau die Namen von 42 Wachmännern und Aufseherinnen auswendig. Mit ihrer Hilfe konnten die britischen Allierten viele Wachleute finden. Auch über die Täter-Gruppen informieren die Lesetafeln, über die Brutalität und Willkür der "Wachmannschaften", der SS-Aufseherinnen und SS-Männer. Lucille Eichengreen erinnert sich an die "Bestrafung" einer Mitgefangenen durch einen SS-Mann, der mit einem schweren Lederriemen auf sie einschlug. "Sie schrie, er zählte. Seine Wut schien grenzenlos. Schließlich brach sie zusammen. Wir sahen auf die kaum noch atmende Menge Fleisch auf den mit Blut bespritzten Holzdielen. Aber wir durften ihr nicht helfen." Auch wenn es ihr schwer fällt, Hamburg zu besuchen, die heute in Oakland/Kalifornien lebende 83 Jahre alte Zeitzeugin wird zur Ausstellungseröffnung am 9. September um 18 Uhr erwartet. Doch sie sagt: "Was Hamburg mir angetan hat, ist nicht zu verzeihen."


Gedenkstätte Plattenhaus Poppenbüttel, Kritenbarg 8, geöffnet: So 10-17 Uhr und nach Vereinbarung, Führungen auch außerhalb der Öffnungszeiten, Anmeldung beim Museumsdienst unter T. 42 813 10