Über die Erbsünde haben wir uns in den letzten Tagen im Theater unterhalten. Die evangelische Pastorin Ulrike Murmann und die katholische Autorin Dea Loher, die bei uns so etwas wie die Hausautorin ist, haben über das Theaterstück "Unschuld" und den Begriff der Schuld diskutiert. Die ehemalige Katholikin erinnerte sich an die Angst vor einem strafenden Gott, und die Protestantin warb für einen Glauben in Freiheit und Selbstverantwortung. Das Publikum war fasziniert. Offensichtlich sind Glaube und Religion wieder ein Thema, über das sich zu streiten lohnt.

Ich persönlich habe mich sehr gefreut, dass wir dieses erste öffentliche Gespräch über Theater und Religion bei uns im Foyer hatten. Mittlerweile gibt es in ganz Deutschland auch an den Theatern ein zunehmendes Interesse an Glaubensthemen. Das ist eine Entwicklung, die man vor zehn Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Ich denke, dass all diese existenziellen Fragen über den Lebenssinn, über Vertrauen und Verrat, über Schuld, Erlösung, Tod und Leid in der Kunst und Religion ihren Platz haben.

Mich selbst hat der christliche Glaube von Kindheit an sehr geprägt. Als Ministrant bin ich schon als Achtjähriger mehrmals in der Woche in die Messe gegangen. Dieses merkwürdige Erlebnis am frühen Morgen um halb sieben auf den fast leeren Straßen unterwegs zur Kirche, dort dann mit einer seltsam eingeschworenen Gemeinschaft, dem Pfarrer und wenigen Gottesdienstbesuchern die Messe zu feiern, mit allerlei rituellen Aufgaben betraut, das alles hatte etwas sehr Theatralisches, aber zugleich Ernstes. Natürlich haben die Schulkameraden das etwas komisch gefunden und einen damit aufgezogen. In mir entstand dadurch eine Art trotziger Widerstand. Ich bin bis zum Abitur Ministrant geblieben und habe dann neben meinem Jura- und Germanistikstudium auch Theologie studiert. Das Priesteramt hat mich im Alter von fünfzehn Jahren fasziniert, andererseits schien mir das Zölibat doch eine nicht so ganz verständliche Lebensform zu sein. Am Theologiestudium haben mich dann auch eher die Grundfragen des Lebens ähnlich wie in der Germanistik beschäftigt.

Heute als Theatermensch ist die Situation so, dass die Kirche als institutionelle Gemeinschaft für mich keine so große Rolle spielt. Jenseits von Theater, Freunden und Familie gibt es kaum Raum.

Aber das bedeutet keine grundsätzliche Abkehr von religiösen Fragen. Ich bin ein gläubiger Mensch. Ich halte das Gebet für eine stille Form des Dialogs, auch der Meditation, der Besinnung, und ich nutze diese Form des Denkens und Sprechens auf vorgegebenen Bahnen wieder häufiger. Dafür braucht es nicht unbedingt einen organisierten Rahmen wie Kirche oder die Messe. Auch wenn es sich etwas merkwürdig anhört, nutze ich dafür am ehesten die Zeit im Auto zur Arbeit oder von der Arbeit. Gott kann ja im Gebet auch so etwas wie ein imaginäres oder höchst konkretes Gegenüber sein. Meine Religiosität hat schon etwas sehr Lückenhaftes, vom Rande her Erlebtes. Dazu gehört auch, dass ich seit einigen Jahren mit einem Freund einmal im Jahr ins Kloster gehe. Nicht, weil es gerade modern ist, sondern weil der Aufenthalt im Kloster für uns biografisch verankert ist. Der Benediktinische Wechsel zwischen Gebet, Arbeit, Stille und Gespräch, die strengen Rituale und diese Konzentration tun uns einfach gut. Man nimmt Anteil am Leben der Mönche, ohne eine wirkliche Aufgabe zu haben, und ist gleichzeitig aufgehoben in dieser Gemeinschaft, nimmt teil an ihrer Spiritualität und fühlt sich weder aufgerufen, dieses Leben kritisch zu hinterfragen, noch es pathetisch zu glorifizieren. Dennoch, gesungen, gebetet, gearbeitet und geschwiegen wird in den Klöstern schon seit Hunderten von Jahren. So schlecht kann diese Erfahrung einer besonderen Art von stiller Gemeinschaft für uns moderne Menschen nicht sein.

Ulrich Khuon, Intendant am Thalia Theater, bringt das Gespräch über Religion auf die Bühne. Hier erzählt er von seiner Zeit als Ministrant und warum er einmal im Jahr ins Kloster geht.