Pastor Eberhard Pellens begründete in Harburg-Eißendorf moderne Gemeindearbeit, Claus Scheffler übernahm die Nachfolge. Was hat sich in ihrem Berufsbild in fünf Jahrzehnten geändert?

Ein Priester "soll nichts anderes sein in der Christenheit als ein Amtmann", sagte Luther, "weil er im Amt ist, geht er voran." Entsprechend prägte sich durch fünf Jahrhunderte das Bild des evangelischen Geistlichen aus, sagt Pastor i.R. Eberhard Pellens (79) aus der Apostelgemeinde in Harburg-Eißendorf: "Er war der Hirte der Gemeinde, Bewahrer der Tradition und der klassischen Werte und Respektsperson. Nie wäre es ihm eingefallen, einem Gottesdienstbesucher an der Kirchentür die Hand zu reichen - ein Pastor tat so was nicht! Wer Fragen hatte, musste in die Bibelstunde kommen." Bis um 1970 folgten Gottesdienst und Seelsorge einer festgefügten Tradition.

Pellens kennt die alten Zeiten gut: Er forscht nicht nur seit langem in Harburgs Kirchengeschichte, er hat die Gemeindearbeit einst selbst reformiert. "1950 studierte ich mit einem Stipendium des Weltkirchenrats in South Carolina, ich war also gegen zu viel Tradition geimpft." Als er 1955 Pastor in der Hamburger Innenstadt wurde, wartete jede Menge Arbeit auf ihn: 4000 Gemeindemitglieder wünschten Gottesdienste, Trauungen, Taufen und seelsorgerische Gespräche. "Jede Woche unterrichtete ich allein hundert bis hundertfünfzig Konfirmanden. Nach dem Krieg gab es viel zu wenig Pastoren, viele waren gefallen, es gab kaum Nachwuchs." 1963 wurde die Apostelgemeinde in Harburg gegründet: "Ich hatte das große Glück, eine neue Gemeinde gründen, eine Kirche auf die grüne Wiese bauen zu dürfen." Pellens setzte seine amerikanischen Erfahrungen ein: Er motivierte ehrenamtliche Mitarbeiter, gab eine erste Gemeindezeitung heraus, und als sich nach 1970 die Gotteshäuser leerten, holte der Vater von fünf Kindern auch schon mal Jazzmusiker in die Kirche.

"Er hat mir eine gut funktionierende Gemeinde übergeben", lobt Pellens-Nachfolger Claus Scheffler.

Auch er sammelte Ideen in den USA: Ein Sabbat-Jahr bei Glaubensbrüdern u.a. in Chikago und Phoenix/Arizona machte ihm deutlich, "dass es verschiedene Arten von Gläubigen gibt, die verschiedene Arten von Gottesdienst brauchen". Daraus entstanden vier Angebote: Ein Morgengottesdienst erfüllt die Erwartungen an herkömmliche Gottesdienstformen. Ein Abendgottesdienst lenkt die Gedanken etwa durch moderne Musik, Lichteffekte und Theaterstücke auf zentrale Bilder der Bibel, denn, so Scheffler: "Viele wollen erst mal die Hauptaussagen unseres Glaubens kennen lernen." Eine "Zeit der Stille" lädt zum Gebet in einer Kirche voller Kerzen. Und ein "Welcome-Gottesdienst" in der Aula des Heisenberg-Gymnasiums zeigt Menschen, die keinen Kontakt zur Kirche haben, aber interessiert und neugierig sind, was Glaube und Bibel mit aktuellen Problemen der Zeit zu tun haben: Schulstress, Burnout-Syndrom, Rentenangst, Partnerverlust . . .

"Wir leben im Multimedia-Zeitalter", sagt Scheffler. "Die Menschen sind Abwechslung, Tempo, Buntheit und das Internet gewöhnt, müssen eine Informationsflut verarbeiten. In unseren Glaubenskursen sprechen kleine Gruppen von acht bis zwölf Leuten über Vergebung, das Gebet, das Abendmahl oder die Grundlagen des Christentums. Wir haben Teams aus rund zweihundert ehrenamtlichen Helfern aufgebaut und sind relativ wenig pastoren-zentriert. Wir denken auftragsorientiert: Warum sind wir eigentlich hier Gemeinde? Was will Gott von uns in Eißendorf? Und das sehen wir als unsere Aufgaben: Gott finden, Glauben leben, Menschen begeistern."

Statt durch Autorität wirkt der moderne Seelsorger durch seine Popularität, aus dem Übervater wurde der Teamworker - zum Segen der Sache: Die Gemeinde Harburg-Eißendorf blüht und gedeiht, weil so viele Ehrenamtliche mitmachen.

Denn auch das sagt Luther: "Wir sind allesamt Priester, so viele wir Christen sind."