Ist Angela Merkel eine Zauderin? Der CDU-Parteitag bemühte sich nach Kräften, solche Kritik Lügen zu strafen.

Stuttgart/Berlin. Angela Merkel ist promovierte Physikerin. Ihre Dissertation war der "Berechnung von Geschwindigkeitskonstanten von Elementarreaktionen" gewidmet. Was kompliziert klingt, im Übrigen aber nur beweist, dass das Leben seine Pointen von langer Hand vorbereitet. Elementarer konnte man sich die Reaktionen ja nun wirklich nicht vorstellen, die sich seit Wochen in der internationalen Finanzwelt abspielen, und für das Erkennen der einen oder anderen Geschwindigkeitskonstante wäre man da inzwischen schon sehr dankbar.

Zu den politischen Konstanten gehört zweifellos das wieder sehr gute Wahlergebnis, das Angela Merkel gestern auf dem CDU-Bundesparteitag in Stuttgart bei ihrer Wiederwahl zur Parteivorsitzenden erzielt hat: 94,83 Prozent. Aber das war ja intern, quasi ein Heimspiel, zumal im Vorfeld zu hören war, dass man die CDU-Ministerpräsidenten am Sonntag auf dieses Ergebnis eingeschworen hatte. Man habe eine "unbestrittene" Parteivorsitzende, hat CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla anschließend erklärt, und dass Angela Merkel die Delegierten mit ihrer Rede "auch emotional" erreicht habe.

Ein Generalsekretär muss so etwas sagen. Er muss öffentlich auch ignorieren, was in den Medien steht. Dass die Kanzlerin zaudere. Dass sie gegen die absehbare Konjunkturflaute kein Rezept habe. Dass sie "in Bedrängnis" sei. Zu diesem Schluss kommt der "Spiegel", der "Angela Mutlos" eine elfseitige Story widmet und die er mit einem in missmutigem Grün gehaltenen Titelfoto garniert hat: Da steht die Kanzlerin bereits verdüstert in der Ecke.

Ist das so? "Kann" sie Krise nicht, wie man auf Neudeutsch zu sagen pflegt? Ist sie wirklich überfordert? Ist die "Außenkanzlerin" der ersten und, wie man jetzt weiß, einfachen Regierungsjahre nur eine Schönwetter-Frau? Ist dies der entscheidende Lackmustest, in dem sie sich gerade befindet? Es gebe Regierungschefs, die wie geschaffen seien für die Krise, hat "Spiegel online" gestern böse verbreitet, während Angela Merkel in Stuttgart sprach, und es gebe Regierungschefs, die in der Krise aufblühen würden. Und dann gebe es noch Angela Merkel.

Wer sie kennt, weiß, dass sie darauf nicht reagieren wird. Zum einen, weil sie sich im Laufe der ersten drei Regierungsjahre ein dickeres Fell zugelegt hat, zum anderen, weil Jammern oder Zurückbeißen sowieso nicht ihr Stil ist. Deshalb hat Angela Merkel gestern in Stuttgart auch nicht mit der Wimper gezuckt, als Friedrich Merz - der Rivale von einst, der seine Niederlage bis heute nicht verwunden hat - zum Rednerpult schritt und in kaltem Ton verkündete, die CDU werde bei der kommenden Bundestagswahl durchaus gute Chancen haben, vorausgesetzt, sie überlasse die finanzpolitische Kompetenz nicht der SPD!

Als Angela Merkel einst den berühmten Proustschen Fragebogen ausfüllte, hat sie auf die Frage, welche natürliche Gabe sie gerne besitzen würde, geantwortet: "Beruhigend auf die Menschen zu wirken." Das klappt in diesen beängstigenden Zeiten - Ausnahmen wie Friedrich Merz bestätigen die Regel - offenbar ganz gut. Dass ihre Landsleute in den zurückliegenden Wochen nicht in Panik gerieten, ist auch das Verdienst der Bundeskanzlerin - und ihres Finanzministers Peer Steinbrück (SPD).

Zur Krise sei es gekommen, weil man zu viel den Experten geglaubt habe, die gar keine Experten seien, hat Angela Merkel den Deutschen gestern aus Stuttgart zugerufen. "Viele Vorschläge widersprechen einander, manche widersprechen sogar sich selbst. Spätestens da sollten wir widersprechen!" Merkel erklärte, dass es besser gewesen wäre, dem Prinzip der praktischen Vernunft zu folgen. "Man hätte einfach nur die schwäbische Hausfrau fragen sollen. Sie hätte uns eine Lebensweisheit gesagt: 'Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben.'" In der Verletzung dieses Grundsatzes liege der Kern der Finanzkrise.

Es war eine Rede der praktischen Vernunft. Keine mitreißende, keine sprühende Rede, aber sprühende Reden hat man von Angela Merkel ja ohnehin noch nie gehört. Vielleicht ist das ja Teil der Beruhigung, die sie ausstrahlt. Was Steuersenkungen anbelange, werde sich Deutschland "alle Optionen" offenhalten, hat sie in Stuttgart erklärt. Und Hessens Ministerpräsident Roland Koch ist der Kanzlerin später mit dem Satz zur Seite getreten, wenn die Konjunktur im Dezember gut laufe, brauche man im Januar keine "nachfragestützenden" Maßnahmen.

Von der Bundestagswahl ist man noch zehn Monate entfernt. Diesen Parteitag hat die CDU noch einmal nach dem Motto "Friede, Freude, Eierkuchen" abgehalten. "Hatten Sie wirklich geglaubt, hier und jetzt würde es eine Steuerrevolution geben?", fragte der Haushaltsexperte Steffen Kampeter die Journalisten. Und der Pinneberger Finanzpolitiker Ole Schröder sekundierte ihm mit der Feststellung, alle in der Partei seien für eine Steuerreform mit einfachen, niedrigen und gerechten Steuern. "Aber das darf man nicht mit der heißen Nadel nähen. Wir müssen uns Zeit nehmen, damit es ein großer Wurf wird."

Angela Merkel hat den Beifall und die Blumen nach der Bekanntgabe ihres Wahlergebnisses strahlend entgegengenommen. Fünf Minuten lang haben ihr die Parteifreunde applaudiert. Fast schien es, als wäre dem Parteitag ein Stein vom Herzen gefallen. Erleichterung war spürbar.

Erleichterung darüber, dass niemand quergeschossen hatte, Erleichterung über das eindeutige Votum für die alte und neue Parteivorsitzende.