Kommentar: Die SPD nach dem Wechsel

So etwas wollten die Sozialdemokraten nicht noch einmal erleben. Schon der abrupte Abgang des damaligen Vorsitzenden Franz Müntefering im Oktober war ein Schock. Entsprechend groß mußte das Beben sein, das Matthias Platzeck gestern mit seinem Rücktritt in seiner Partei auslöste. Nur die schon fast routinierte, aber konsequente Nachfolgeregelung mit Kurt Beck verhindert, daß sofort alle Fliehkräfte freigesetzt werden und die Partei-Flügel auseinanderdriften.

Es ist einzig der Respekt vor Platzecks Gesundheit, der sämtliche Überlegungen darüber verbietet, ob die SPD-Granden und Platzeck-Vorgänger Kurt Schumacher, Erich Ollenhauer, Willy Brandt oder Hans-Jochen Vogel diese Entscheidung wohl auch so gefällt hätten und nicht doch noch im Amt geblieben wären.

Platzeck hinterläßt nach nur wenigen Monaten im Chefsessel eine zwar verstörte, doch eine immerhin ordentlich funktionierende Partei. Daß aber die Sozialdemokraten den Machtverlust und den turbulenten Abgang ihrer Führungsfiguren Gerhard Schröder und Franz Müntefering so erstaunlich ruhig verwunden haben, liegt mehr an der Regierungsdisziplin in der großen Koalition als an einer sichtbaren Führungslinie von Platzeck in den letzten Monaten. Da mag sogar die integrative Art von CDU-Kanzlerin Angela Merkel einige Unterstützung geleistet haben.

Der SPD ein neues Selbstbewußtsein und eine Zukunftsvision zu geben, die sie vom Regierungspartner CDU abhebt, dafür hatte Platzeck nicht genug Zeit. Dies zu tun, wird nun Kurt Becks große Aufgabe. Daß er diesmal keine Übergangslösung ist, machte er gleich mit seinem Anspruch auf die nächste Kanzlerkandidatur deutlich.