Migrantinnen pauken mit dem stellvertretenden Landeswahlleiter Hermann Leitzmann das niedersächsische Wahlrecht.

Lüneburg. Die Zettelwirtschaft bei der anstehenden Kommunalwahl hat selbst für erfahrene Wähler etwas Einschüchterndes. Wie muss es da Menschen gehen, die noch nicht so lange hier leben? Denen wollen zehn Migrantinnen beim Fest der Kulturen am 28. August helfen, den Weg durch das Kommunalwahlrecht zu finden. Fit gemacht haben sie sich in einem Kursus der Volkshochschule.

"Die Idee kam im Integrationsbeirat auf, weil wir viele Neueinbürgerungen und EU-Ausländer in Lüneburg haben", sagt der stellvertretende Kreiswahlleiter Hermann Leitzmann, der das Seminar leitet. Bei Europa- und Kommunalwahlen sind auch Menschen aus dem europäischen Ausland, die in Deutschland wohnen, zur Wahl zugelassen. In der Hansestadt sind das derzeit gut 1000 der 58 000 Wahlberechtigten. "Oft wissen die Migranten nicht, was bei der Wahl passiert und sind durch die vielen Zettel eingeschüchtert", sagt Leitzmann.

Kursusteilnehmerin Lucy Grimme stimmt zu. Vor 25 Jahren kam sie von El Salvador nach Deutschland. 1990 erhielt sie die Deutsche Staatsbürgerschaft. "Als ich das erste Mal wählen war, war ich über die vielen Wahlzettel überrascht. Wählen in Deutschland ist nicht so einfach, wie man denkt", sagt die 49-Jährige. Lucy Grimme ist Mitglied des Integrationsbeirats für Stadt und Landkreis sowie Vorsitzende des deutsch-spanischen Kulturvereins.

Sie will nicht nur beim Tag der Kulturen auf Spanisch über das Wahlrecht informieren, sondern auch in ihrem Freundeskreis. "Ich wurde schon von Bekannten angesprochen. Die leben länger in Deutschland, zahlen hier Steuern, können jedoch keine politischen Entscheidungen treffen", sagt die Scharnebeckerin. Allen Interessierten will sie das Wahlrecht in ihrer Muttersprache erklären. So - hofft sie - werden sich mehr Spanischsprechende zur Wahl trauen.

Für den stellvertretende Kreiswahlleiter Hermann Leitzmann wäre das die Wunschvorstellung. "Die Migranten sollen in ihre Gruppen gehen und das Gelernte weitergeben", sagt er.

Auch Caridan Özdemir möchte das Wahlrecht ehrenamtlich in ihrer Muttersprache erklären. Die Projektmitarbeiterin bei der VHS kommt ursprünglich aus der Türkei. Sie selbst darf nicht wählen. "Wenn ich die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen würde, müsste ich die türkische abgeben. Bisher wollte ich diesen Schritt noch nicht gehen", sagt die 45-Jährige. Aus persönlichem Interesse nimmt sie an dem Seminar teil. "Mir kommt das Wahlsystem hier sehr komplex vor, ganz anders als in der Türkei", sagt sie. Fragen zu den Parteien will sie nicht beantworten. "Wir sind hier neutral", sagt sie.

Fast zwei Stunden lang erklärt der stellvertretende Kreiswahlleiter das Wahlrecht. Er erläutert, wer am 11. September gewählt werden kann, wie viele Kreuze jeder machen darf und wie ein Wahlzettel ungültig wird. Damit die Frauen sich nicht alles merken müssen und für Nachfragen gewappnet sind, erhalten sie nach der Veranstaltung das Skript des Vortrags. "Am Stand beim Tag der Kulturen gibt es Informationsmaterial in verschiedenen Sprachen und Musterwahlzettel, auf denen beispielhaft alles erklärt wird", sagt Hermann Leitzmann. Schon während der Veranstaltung tauchen viele Fragen auf. Caridan Özdemir findet beispielsweise die Amtszeit eines Bürgermeisters viel zu lang. "Wenn man da den Falschen wählt, muss man die nächsten acht Jahre damit leben", sagt sie.

Ausschließlich Frauen haben sich auf den Weg zur Volkshochschule gemacht. "Das liegt nicht daran, dass die Wahl ein Frauenthema ist. Frauen übernehmen einfach öfter den Part, neue Informationen in die Familien zu tragen", sagt Angelika Borchert. Sie leitet den Programmbereich Sprache und Integration bei der VHS. Die Volkshochschule sei für solche Seminare prädestiniert. "Wir haben einen sehr neutralen Bildungsauftrag und sind beim Thema Integration stark involviert", so die 51-Jährige. Sie glaubt, dass die Frauen das komplexe Thema gut verstanden haben.

"Den Frauen ist besonders aufgefallen, dass man in Deutschland für alles ein Wort erfindet. Sie haben Recht: Das Wort Wahlvorschlagsträger ist mir auch noch nicht untergekommen", sagt sie.

Sollte das Seminar wiederholt werden, will Angelika Borchert die Teilnehmer mehr einbinden. "Man hat gemerkt, dass ihnen das aktiv werden gefehlt hat. Sie hätten gern einmal einen Musterwahlzettel ausgefüllt", sagt sie.

Am kommenden Sonntag, 28. August, erklären die Migrantinnen das Wahlrecht beim Fest der Kulturen. Zu finden sind sie beim Stand der Volkshochschule auf dem Gelände des Behördenzentrums Auf der Hude.