Die Hauptrolle spielen die Menschen.

Das wesentliche Merkmal an Ausstellungen von Tino Sehgal ist Abwesenheit. Die Abwesenheit von Kunstobjekten allemal, häufig auch die Abwesenheit des Künstlers selbst und ebenso oft die Abwesenheit von augenfälligem Sinn. Selbstverständlich gibt es auch keine Kataloge und keine Abbildungen von Tino Sehgals Arbeiten.

Anwesend dagegen sind die Besucher von Museen, dem liebsten Tätigkeitsfeld des Künstlers. Und es sind die Menschen selbst, Besucher wie Personal, die die Hauptrolle in Tino Sehgals Kunstwerken spielen. Jetzt hat der Hamburger Kunstverein dem jungen Briten die Einzelausstellung "Tino Sehgal" gewidmet. Wer die Schau besucht, muss sich auf Unvorhersehbares gefasst machen. Die Räume sind leer. Jedoch kann es passieren, dass eine Aufsicht den Gast anspricht, das Personal scheinbar zusammenhanglos Schlagzeilen der Tagespresse zitiert oder seltsame Bewegungen ausführt.

"Was soll das?", fragt man sich irritiert, vielleicht sogar verärgert. Vereinfacht gesagt, soll es in erster Linie darauf hinweisen, dass materielle Produkte überflüssig geworden sind. In einem Interview erklärt es der Künstler so: "Es ist ein Grundprinzip meiner Arbeit, keine materiellen Dinge herzustellen, also auch keine Bücher, sondern Arbeiten, die gleichzeitig etwas und nichts sind. Ich beauftrage Menschen, in der Ausstellung etwas zu tun, zum Beispiel Museumswärterinnen, die einen Satz singen wie ,This is propaganda, you know, you know'. Meine Kunst materialisiert sich in den Körpern dieser Interpreten." Wesentlichen Einfluss auf diese Kunstübermittlung hat ein Studium der Wirtschaftswissenschaften gehabt, das der 1976 in London geborene Künstler absolvierte. Damals begegnete ihm ein Paradox in westlichen Gesellschaften. Nämlich, dass Produktion immer noch den Gesetzen des Mangels folgt, obwohl schon lange kein Mangel an Produktionsgütern mehr existiert.

"Eine Gesellschaft, die sehr viel mehr produziert, als sie braucht, hat ein ernstes Problem", sagt Sehgal und verweist auf die Endlichkeit von Ressourcen oder die begrenzte Kapazität der Erde. "Mich interessieren daher andere Formen des Produzierens wie Singen oder der Tanz. Die Frage ist, ob es irgendeine Form von kulturell-sozialem Prozess geben kann, der die Funktion des technischen Fortschritts übernehmen kann."

Sehgal wagt das Experiment, sich von herkömmlichen Mustern zu lösen. Er sieht sich weder als Künstler, noch als Dichter oder Dramaturg. Und er verlässt sich nicht auf die Definitionen von Kunst, sondern sucht den freien Raum, in dem unvoreingenommenes Denken möglich wird.

Warum aber lenkt er seine Aktivitäten nicht an den Ort der Handlung, in Vorstandsetagen oder Werkhallen? "Aus ökonomischer Sicht ist das Interessante am Kunstmarkt, dass dort Produkte angeboten werden, die sich noch nicht einmal darum bemühen, einen unmittelbaren Gebrauchswert zu behaupten. Kunst ist eine Form des Rituals, das ökonomische Produktion preist und reflektiert. Mir geht es darum, mit der Feier von anderen Formen der Produktion den Vorschlag zu machen, ob auf einer gesellschaftlichen Ebene solche Formen nicht relevanter werden können."

  • Kunstverein in Hamburg , Klosterwall 23, bis 14.1.07, di-so 11-18 Uhr, do 11-21 Uhr.