Eine Schau mit 50 Installationen, Skulpturen, Fotografien und Gemälden aus den Jahren 1959 bis 2006

Kaum ein Kunstwerk hat je so heftige Debatten ausgelöst, wie Hans Haackes Schriftzug "Der Bevölkerung" für den Berliner Reichstag. Als Ergänzung zur Aufschrift "Dem Deutschen Volke" am Portal des geschichtsträchtigen Gebäudes sollte Haackes Werk darauf hinweisen, dass das Volk längst aus vielerlei Nationalitäten besteht. Das gefiel Teilen der Bevölkerung nicht, und so musste der Bundestag, der sich üblicherweise in Fragen der Kunst nicht einmischt, über die Installation des Werks entscheiden. Die Debatte (nachzulesen unter www.derbevoelkerung.de) ist aufschlussreich. Eine Albernheit nannten es die Einen, eine skurrile Bundesgartenschau die Anderen.

Unbequeme Tatsachen mit den Mitteln der Kunst zur Diskussion zu stellen, bildet die Basis für Hans Haackes vielschichtiges Werk. Erinnert der im September 2000 installierte Schriftzug in einem Innenhof des Reichstagsgebäudes daran, dass die Wiedervereinigung auch massive Fremdenfeindlichkeit hervorgebracht hat, so fokussieren andere Werke etwa problematische Verflechtungen von Wirtschaft und Kultur, die Mechanismen des Kunstmarkts oder ökologische Fragestellungen.

Als mithin erster Vertreter einer kritischen Konzeptkunst hat Haacke häufig punktgenau den Nerv getroffen. Was ihm viel Ehre, aber wenig Ausstellungen einbrachte. In Deutschland wurde der 1936 in Köln geborene und seit 1965 in New York lebende Künstler so zu einer unsichtbaren Symbolfigur.

Das ändert jetzt eine große von den Deichtorhallen und der Berliner Akademie der Künste ausgerichtete Retrospektive. Unter dem Titel "Hans Haacke - Wirklich" zeigt sie zeitgleich in Hamburg und Berlin in einer umfassenden Übersicht Installationen, Skulpturen, Fotografien und Gemälde aus den Jahren 1959 bis 2006. Während in Berlin Arbeiten aus dem Themenkreis Geschichte die Hauptrolle spielen, konzentriert sich die Schau in den Deichtorhallen auf Werke zum Thema Wirtschaft, Sponsoring und Unternehmen. Zu sehen sind rund 50 Arbeiten. Darunter die Fotonotizen zur Dokumenta 2, die Besucher in der Ausstellung zeigen. Oder die Wohnprofile von Galeriebesuchern von 1969/70, dessen Folgeprojekt eine Dokumentation über New Yorker Elendsviertel dem jungen Künstler eine Ausstellung im Guggenheim Museum kostete. Wohl, weil eine Immobilienfirma dabei schlecht wegkam, auf deren finanzielle Zuwendungen das Museum angewiesen war.

Auch der Pralinenmeister, eine Serie von 14 zu Dyptichen zusammengestellten Tafeln, fiel diesmal bei der Ausstellung Westkunst 1981 in Köln der Zensur zum Opfer. Die Arbeit zeigt den Mäzen Peter Ludwig als kühl kalkulierenden Unternehmer. Immer wieder hat Haacke das Verhältnis von Kunst und Macht oder soziale Bedingungen von Kunstrezeption untersucht. Damit hat er sich den Ruf vom Gewissen des Kunstbetriebs erworben. Manchmal haben ihm Kritiker vorgeworfen, Provokation strategisch als Erfolgsrezept einzusetzen.

Dem widerspricht Haackes Stellung auf dem Kunstmarkt. Er ist kein hochdotierter, in Deutschland sogar nur wenig bekannter Künstler. Und das, obwohl er zu fast jeder zweiten Dokumenta eingeladen wurde und bei der Biennale Venedig 1993 für die Gestaltung des deutschen Pavillons mit Nam June Paik den Goldenen Löwen erhielt.

  • Deichtorhallen , Deichtorstraße 1-2, bis 4.2.07, di-so 11-18 Uhr.