Das mag auf Grund der sehr regen und kontroversen öffentlichen Diskussion infolge der Rückgabe des Gemäldes "Berliner Strassenszene" von Ernst Ludwig Kirchner durch den Berliner Senat an die Erben so erscheinen.

Tatsächlich ist sie es keineswegs. Provenienzforschung ist Teil der Kunstgeschichte und beschäftigt sich mit der Herkunft von Kunstwerken. Ihre Aufgabe ist es, die Geschichte eines Kulturgegenstandes zu erforschen und zu rekonstruieren. Ein Mensch möchte wissen, woher er kommt. Diese Kenntnis braucht er, um sich selber zu verstehen und auch zu wissen, wie manches kam und warum manches so ist, wie es ist. Ein Kulturgegenstand ist kein denkendes Wesen, doch die Vergangenheitserhellung haben die Wissenschaftler für den Kulturgegenstand zu leisten. Denn vieles lässt sich für die ehemalige und heutige Einschätzung eines Kulturgegenstandes ableiten, weiß man in welchem Museum oder in welcher Sammlung es sich befand, wie lange es dort war, welchem Künstler es zugeschrieben wurde, welchen ideellen und finanziellen Wert es hatte und welcher ihm heute zugemessen wird. Zum Beispiel kann die Herkunft eine maßgebliche Rolle bei der Echtheitsbestimmung spielen.

In den letzten acht Jahren wurde die traditionelle kunsthistorische Provenienzforschung reduziert auf eine, die sich allein mit der Geschichte der Kulturgüter in den Jahren 1933 bis 1945 befassen sollte. Sie soll feststellen, ob die Kulturgüter verfolgten Menschen unrechtmäßig entwendet worden waren. Dieser explizit 1998 in Washington formulierte, von der Bundesrepublik unterschriebene und 1999 bekräftigte kulturpolitische Auftrag verkannte die Komplexität von Geschichte und damit auch der Provenienzforschung. Oftmals gelingt es nicht, die Provenienz vom Datum des Ankaufs zurück zu klären, sondern aufwendige Recherchen vom Entstehungszeitpunkt des Kulturgegenstandes sind anzustellen, um eventuell seine Historie während der nationalsozialistischen Diktatur zu erfahren. Geschichte ist nicht alleine linear aufzufassen, sondern sie ist vielschichtig. Verschiedene Ereignisstränge, Kontinuitäten, Brüche und Parallelitäten sind ihr eigen und damit entzieht sie sich dem bürokratisch formulierten Auftrag, im Handumdrehen die Geheimnisse der Kunstwerke preiszugeben. Allein die Museen sollten diese Problematik lösen, bisher ohne Unterstützung durch den Bund oder die Länder. Doch nun scheint Kulturstaatsminister Bernd Neumann zu verstehen, dass die Museen hierfür dringend finanzielle Unterstützung benötigen.

Lediglich mit Blick auf das öffentliche Interesse an der Provenienzforschung wäre sie als eine Modeerscheinung anzusehen, die sich auf den kriminalistischen oder detektivischen Aspekt der Kunstfahndung fokussiert. Auch hier wird verkannt, dass es sich um eine langwierige wissenschaftliche Arbeit handelt, die ihren ureigensten Ort im Museum hat.