Zwei Standorte, ein Thema: In einer Doppelausstellung im Rathaus und am Holstenwall geht es um die Sturmflut von 1962 - und um deren Folgen.

In der Nacht vom 16. zum 17. Februar 1962 geschah in Hamburg etwas, was niemand für möglich gehalten hatte: An der Nordseeküste tobte ein Orkan und trieb immer größere Wassermassen in die Elbe hinein. Unaufhörlich stiegen die Pegelstände und die Belastung der Deiche nahm dramatisch zu. Aber Hamburg schlief, die Menschen fühlten sich in ihren Häusern sicher. Was sollte in einer modernen Millionenstadt schon passieren?

Diese scheinbare Gewissheit zerbrach am 17. Februar eine knappe Viertelstunde nach Mitternacht: Um 0.14 Uhr begann mit einem Deichbruch in Neuenfelde-Rosengarten die größte Katastrophe, die die Freie und Hansestadt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts heimgesucht hat. Die Sturmflut von 1962 liegt jetzt ein halbes Jahrhundert zurück, aber vergessen ist diese Katastrophe nicht, im Gegenteil: Sie ist Teil des historischen Gedächtnisses dieser Stadt geworden.

Mit einer Doppelausstellung erinnern die Stiftung Historische Museen und der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer, im Auftrag der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt jetzt an das damalige Geschehen. In der Rathausdiele stehen historische Fotografien im Vordergrund. Sie dokumentieren das ganze Ausmaß der Katastrophe: Straßenzüge stehen unter Wasser, Kleingartensiedlungen in tief liegenden Gebieten sind überflutet. Rettungskräfte sind mit Schlauchbooten unterwegs, Hubschrauber retten Bewohner überfluteter Regionen, denen nur noch aus der Luft zu helfen ist. Unter der resoluten Leitung des damaligen Innensenators Helmut Schmidt versuchen Behörden, Rettungskräfte und Einheiten der Bundeswehr der Katastrophe Herr zu werden. Viele können tatsächlich gerettet werden, aber für 315 Menschen kam allein auf Hamburger Gebiet die Hilfe zu spät.

Der Blick ist nicht nur auf das historische Geschehen gerichtet, sondern zeigt die Schauplätze von einst auch im Vergleich mit der heutigen Situation. Überhaupt blickt die Ausstellung nicht nur zurück, sondern fragt ebenso danach, was seit dem Trauma von 1962 getan wurde, was sich verändert und verbessert hat und welchen Herausforderungen sich Hamburg auch künftig stellen muss.

Trotzdem spielen die Erinnerungen der Zeitzeugen natürlich eine wichtige Rolle: "Wo warst Du, als das Wasser kam?", heißt eine der wichtigsten thematischen Fragestellungen der Ausstellung, die vom 24. Februar an im Museum für Hamburgische Geschichte gezeigt wird. Auf einer Großleinwand sind dokumentarische Aufnahmen zu sehen, die vielfach von Hubschraubern aus aufgenommen wurden und in der Totale das ganze Ausmaß der Katastrophe anschaulich machen. Parallel zeigen die persönlichen Erinnerungen von Zeitzeugen, welche Schicksale sich damit verbunden haben. Was bedeutet es, mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen zu werden, um festzustellen, dass man sich in Lebensgefahr befindet?

Der Krieg, den die Erwachsenen von damals noch in frischer Erinnerung hatten, war erst 17 Jahre vorüber. Dass es eine kollektive Gefährdung in Friedenszeiten geben könnte, lag jenseits dessen, was man sich vorstellen konnte. Zeitzeugen erinnern sich an dramatische Szenen. Menschen flohen in letzter Sekunde auf die Dächer ihrer Häuser und winkten mit Handtüchern und Bettlaken, in der Hoffnung, die Retter auf sich aufmerksam zu machen. Auch die Hamburgerin Christa Klug hat das erlebt. Am 17. Februar 1962 stand sie auf dem Dach ihres Wohnhauses an der Georg-Wilhelm-Straße und winkte mit einem weißen Bettlaken. Sie und ihre Familie wurden gerettet, das Bettlaken nahm sie mit. Sie hat es gewaschen, gebügelt und bis heute aufbewahrt. Jetzt gehört es zu den originalen Objekten und Erinnerungsstücken, die in der Ausstellung gezeigt werden.

Doch die aufwendig inszenierte Schau dokumentiert auch, welche Lehren aus der Katastrophe gezogen wurden und welche Anstrengungen die Stadt unternommen hat, um künftig besser gewappnet zu sein. Und sie fragt danach, vor welchen Gefahren Hamburg angesichts des Klimawandels und des stetigen Anstiegs des Meeresspiegels in Zukunft steht.

"Was tust Du, wenn das Wasser kommt?", heißt der zweite Schwerpunkt der Ausstellung, in der verschiedene Szenarien recht realitätsnah durchgespielt werden. Aber wird das Wasser tatsächlich kommen? "Seit der damaligen Katastrophe gab es in Hamburg acht Sturmfluten, die sogar noch höher waren als 1962", sagt Dr. Olaf Müller, Leiter des Geschäftsbereichs Gewässer und Hochwasserschutz im LSBG. Der promovierte Ingenieur, der an der Konzeption der Ausstellung beteiligt war, spricht von einem "Paradigmenwechsel im Küstenschutz", der sich nach 1962 vollzogen habe. "Bis dahin hatte man geglaubt, dass alles sicher sei, was vor allem daran lag, dass es nach 1855 fast 107 Jahre lang keine große Sturmflut mehr gegeben hatte."

Doch nachdem sich Hamburg als so verletzlich erwiesen hatte, maß die Stadt dem Hochwasserschutz weitaus größere Bedeutung bei. Und auch in der Öffentlichkeit hatte sich die Sensibilität erhöht. Die Warndienste wurden verbessert und die Hochwasserschutzanlange wurde komplett modernisiert.

"Wir wissen heute über Deiche und deren Konstruktion sehr viel mehr als Anfang der 1960er-Jahre", sagt Müller, der mehr als 20 verschiedene Ursachen für das Deichversagen kennt. Bei der Auswertung der Katastrophe von 1962 konnte man feststellen, dass viele Deiche genau dort gebrochen waren, wo es Nutzungen gab. Wo Bäume gepflanzt, Treppen integriert oder Häuser so gebaut worden waren, dass sie bis in den Deichkörper hineinragten. Solche Schwachstellen sollte es später nicht mehr geben.

Fachleute wussten schon immer, dass der Wasserstand kontinuierlich steigt. In den vergangenen 100 Jahren betrug der Anstieg etwa 26 Zentimeter. Folglich mussten auch die Deiche erhöht werden, eine ebenso notwendige wie teure Aufgabe. Außerdem werden Deiche heute anders konstruiert als noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Jetzt haben sie ein Profil, das den Wellen oder Eisdruck sehr viel besser standzuhalten vermag. Wie ein moderner Deich beschaffen sein muss, können die Besucher in der Ausstellung anhand eines Modells in Originalgröße sehen. Außerdem veranschaulicht eine Computersimulation die Macht der Sturmfluten. Ein Funktionsmodell demonstriert die verschiedenen Hochwasserschutzkonzepte. Wie sich diese entwickelt haben, ist auf einem Stadtmodell zu sehen, auf das die jeweiligen Deichlinien projiziert werden.

"Im Jahr 1962 waren die Deiche 5,70 Meter hoch, heute sind die Hochwasserschutzsysteme, zu denen neben den Deichen auch Schutzwände gehören zwischen 7,50 und 9,25 Meter hoch", sagt Olaf Müller, der eine interessante Rechnung aufmacht: "Eine Erhöhung um einen einzigen Zentimeter kostet bei einer Gesamtlänge von etwa 100 Kilometern fünf Millionen Euro."

Ist Hamburg vor einer weiteren Flutkatastrophe sicher? "Wir sind gerüstet. In zwölf deichnahen Depots liegen 210 000 gepackte Sandsäcke bereit. Die Stadt ist sicher, wenn sie weiterhin kontinuierlich Hochwasserschutz betreibt", sagt Müller, der keinen Zweifel daran lässt, dass das auch tatsächlich geschieht. Aber er weiß auch, dass die Arbeit für ihn und seine Kollegen niemals erledigt sein wird: "Der Deichbau ist eine generationenübergreifende Daueraufgabe."

Die große Flut bis 4.3., Rathausdiele, Mo-Fr 7.00-19.00, Sa/So 9.00-18.00, 24.2. bis 2.9., Museum für Hamburgische Geschichte, Holstenwall 24, Di-Sa 10.00-17.00, So 10.00-18.00