Pionier der Farbfotografie: Saul Leiter erkundete die Straße

Eine regennasse, beschlagene Fensterscheibe, dahinter die Stadt. Menschen, Autos, Neonreklame erscheinen als verwaschene Farbtupfer. Es ist, als hätte die Welt ein Bild auf diese Scheibe gemalt, und Saul Leiter hätte es gesehen und fotografiert. Tatsächlich gilt das Interesse des amerikanischen Fotografen gleichermaßen der Malerei, und der Fotohistoriker Paul Nobel schreibt: "Wenn Saul Leiter Straßenleben fotografiert, dann streichelt er mit Kamera und Objektiv die Welt wie ein Maler mit dem Pinsel die Leinwand."

Fast ein halbes Jahrhundert lagerten die Arbeiten von Saul Leiter unbeachtet in seinem New Yorker Atelier. Erst vor wenigen Jahren gelangte das Werk des heute 88-Jährigen in die Öffentlichkeit. Das Haus der Photographie widmet nun dem Fotografen und Maler mit der Schau "Saul Leiter - Retrospektive" die erste umfassende Präsentation weltweit. Neben den einzigartigen Farbaufnahmen aus der Zeit von 1946 bis heute zeigt die annähernd 400 Werke zählende Ausstellung frühe Schwarz-Weiß-Fotografie, Modefotografie und übermalte Aktfotografien sowie Skizzenbücher dieses fast in Vergessenheit geratenen Künstlers.

Saul Leiter, geboren 1923 als Sohn eines Rabbiners in Pittsburgh, kam 1946 nach New York, um Künstler zu werden. Sein Freund Richard Pousette-Dart machte ihn mit der Fotografie bekannt und Leiter entschloss sich, damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er fotografiert Mode und kann erste Schwarz-Weiß-Serien in den frühen 1950er-Jahren im "Life"-Magazin veröffentlichen. Außerdem nimmt er 1953 an der von Edward Steichen kuratierten Schau "Always the young strangers" im Museum of Modern Art teil. Später, von 1958 bis 1967, arbeitet er für "Harper's Bazaar" und setzt mit seinen lyrischen Aufnahmen Kontrapunkte etwa zur klaren Präzision eines Richard Avedon.

In seiner freien Arbeit betrachtet Saul Leiter das Medium Fotografie als künstlerisches Pendant zur Malerei. Er streift durch die Straßen seines Viertels, des New Yorker East Village, wo er bis heute lebt. "Ich glaube, dass wunderbare Dinge an bekannten Orten passieren", sagt er. Ampeln, Verkehrszeichen, spiegelnde Schaufenster, Passanten genügen ihm.

Vor allem rote Regenschirme ziehen seinen Blick an. Menschen unter einem Dach von Regenschirmen oder ein roter Regenschirm als Farbpunkt am Rand einer ansonsten grauen Szenerie. Menschen erscheinen häufig nicht als Individuum, sondern verborgen oder als bloße Form. Auf diese Weise bewegt sich seine Fotografie im Spannungsfeld zwischen Abstraktion und Alltagsbeschreibung. Als Saul Leiter begann, mit Farbe zu fotografieren, galt Farbfotografie als verachtenswert. Erst in den 1970er-Jahren setzte sie sich mit Vertretern der "New Color Photography" wie William Eggleston durch. Mit der Entdeckung des wunderbaren Werks von Saul Leiter muss nun Fotografiegeschichte neu geschrieben werden.

Saul Leiter - Retrospektive bis 15.4., Haus der Photographie/Deichtorhallen, Deichtorstraße 1-2, Di-So 11.00-18.00, jeden ersten Do im Monat 11.00-21.00 Uhr, Katalog 49,90 Euro