Louise Bourgeois verarbeitet Erinnerungen zu Kunst

Eine "Passage dangereux", also eine gefährliche Passage kündigt die Kunsthalle anlässlich ihrer Ausstellung von Louise Bourgeois an. Die Schau präsentiert Arbeiten aus den letzten 15 Schaffensjahren der 2010 im Alter von 98 Jahren verstorbenen großen alten Dame der bildenden Kunst. Skulpturen, Rauminstallationen, Radierungen, Stoff- und Tapisseriearbeiten. Die Schau nimmt nicht nur namentlich Bezug auf eine der gezeigten Arbeiten. Vor allem für Spinnenphobiker könnte der Besuch unangenehm werden.

Eine über neun Meter hohe Spinne aus Bronze, Stahl und Marmor wacht zwischen Altbau und Galerie der Gegenwart. Die lässt sich zwar umgehen, nicht aber übersehen. Schlicht und einfach "Maman" taufte Louise Bourgeois (1911-2010) das überdimensionale Insekt. Keine böswillige Abrechnung mit ihrer Mutter, vielmehr Würdigung jener Frau, deren Tod sie kaum überwand. Für Louise Bourgeois verwandelt sich die Spinne vom mordenden und blutsaugenden Achtbeiner in eine Art Urmutter, die im alltäglichen Weben beständig an der Erneuerung des Lebens mitwirkt. Die Spinne gleichsam als Weberin der Lebensmatrix.

Wer sich mit dem Werk der 1938 in die USA emigrierten Französin zum ersten Mal konfrontiert sieht, könnte meinen, in eine Gruppenausstellung geraten zu sein. Zu disparat erscheinen ihre Arbeiten als dass sich in ihnen eine einheitliche Handschrift zeigt. Die aber findet und gründet sich im Interesse der Künstlerin, im Wunsch, sich von ihren Kindheitserinnerungen und der Vergangenhheit zu befreien. "Ich bin", äußerte Louise Bourgeois einmal, "eine Gefangene meiner Erinnerungen, und das Ziel ist, sie loszuwerden." Ein Gutteil ihres Schaffens dient der Bewältigung und Domestizierung des eigenen Lebens, das sich im selben Moment zu einer Metapher des Lebens schlechthin erhebt - eine doppelte Biografie, die individuell persönliches und allgemeines Leben als eines fasst. Im Besonderen zählen hierzu auch die "Cells", von denen einige jetzt in der Kunsthalle ausgestellt sind. "Cells" sind unterschiedliche, meist geschlossene Räume und dreidimensionale Metaphern für das Eingeschlossensein des Menschen in seinen Erinnerungen. So auch im Fall der "Passage dangereux", einer Abfolge mit Erinnerungsobjekten gefüllter Räume innerhalb eines nicht begehbaren Käfigs. Von außen lassen sich diese Kammern mentaler und emotionaler Gefangenschaft einsehen.

Wie ein Voyeur, so Kuratorin Brigitte Kölle, blicke der Betrachter "in eine geheimnisvolle und fremde Welt". In der Skulptur "Lady in waiting" (2003) taucht die Spinne erneut, allerdings eher klein und unscheinbar als Aktfigur auf, der acht Spinnenbeine entwachsen. Sie ist aus der gleichen Tapisserie wie das Polster des Lehnstuhls gefertigt, auf dem sie sitzt. Die Ausstellung wird unterstützt durch die Freunde der Kunsthalle und die Rudolf-Augstein-Stiftung.

Louise Bourgeois. Passage dangereux bis 17.6., Hamburger Kunsthalle, Hubertus-Wald-Forum, Glockengießerwall, Di-So 10.00-18.00, Do 10.00-21.00