Die Ausstellung “Müde Helden“ vereint Malerei der utopischen Hoffnung von Ferdinand Hodler, Aleksandr Dejneka und Neo Rauch

Erwartungsfroh blickte das frühe 20. Jahrhundert auf den Neuen Menschen. Auf Lebensreformen, Wanderbewegungen und einen neugeborenen Typus Mensch, wie er in der Folge der Oktoberrevolution im Plansoll stand. Wie er schon lange vor dem politischen Umsturz von Philosophie, Anthroposophie und den Künsten als kommende Lichtgestalt heraufbeschworen wurde.

Geblieben ist von der euphorischen Aufbruchstimmung von gestern der Fall in Melancholie heute. Die Helden sind müde geworden und waren es vielleicht schon ein wenig zu Zeiten ihrer herbeigesehnten Geburtsstunde.

Mit einem ungewöhnlichen Künstlertrio umspannt die Kunsthalle jetzt diese Zeit von Aufstieg und Fall der Utopie des Neuen Menschen. Ihre Ausstellung "Müde Helden" zeigt in unmittelbarem Vergleich rund 90 Gemälde des Schweizers Ferdinand Hodler (1853-1918), des hierzulande noch weitgehend unbekannten Russen Aleksandr Dejneka (1899-1969) und des deutschen Künstlers Neo Rauch (geboren 1960). Mit Hodler, dessen mit der Natur korrespondierenden Helden, beginnt der heroische Aufbruch der Schau. Ihre Fortsetzung findet sie im Werk Aleksandr Dejnekas, das die Heroen der aufstrebenden Arbeiterklasse verstärkt in den neuen urbanen Gegebenheiten des technischen Zeitalters ansiedelt.

Oft verblüffend ähnlich in Motiv und Thema, gelegentlich überraschend kongruent im Bildaufbau, zeigt sich gegenüber den Gemälden der Erstgenannten das Werk von Neo Rauch. In ihm aber sind die Helden müde geworden, verharren in ihren Handlungen, als gelte es zu überdenken, wer und was sie sind. Der heroische Aufbruch ist zum Stillstand gekommen, das ungebrochene "So weiter" der Utopie wie ein wechselwarmes Tier in der Nacht erstarrt.

Doch auch im Werk von Hodler und Dejneka finden sich Anzeichen für die aufkommende Krise des Helden. Nicht nur, weil sich im Pathos seiner Darstellung mehr das übersteigerte Herbeisehnen als die innere Überzeugung ihrer künftigen Existenz bemerkbar macht, "die Zeichen des Artifiziellen und Dekorativen", die sie zu "müden Helden" erklärt, wie es in Bezug auf Hodler heißt. Es finden sich auch im Werk der beiden etliche Beispiele für eine durchaus trostlose, von Zweifeln eingefärbte Weltsicht.

Hodlers Werke "Enttäuschte Seele" und "Arbeitslos" oder Dejnekas "Arbeitslose in Berlin" zeichnen ein Bild erschütternder Desolatheit, die die soziale wie emotionale Vereinsamung des Individuums hervorheben. Was Dejneka mit Hodler teilt, ist auch eine bewusste heroische, durch Rhythmus und Tanz bewirkte Stilisierung ihres Personals zu Neuen Menschen. Dejneka, bis zur "Verordnung des Sozialistischen Realismus in der Sowjetunion im Jahr 1932 ein Protagonist der postrevolutionären Malerei", kannte das Werk des Schweizers und nutzte es als kompositorische Vorlage eigener Bilder.

So bezieht sich seine "Verteidigung von Petrograd" (1927/28) in Aufbau und Leserichtung der Aufbrechenden wie Heimkehrenden unmittelbar auf Hodlers 20 Jahre älteres Bild "Der Auszug deutscher Studenten in den Freiheitskrieg von 1813." Der Unterschied zu Hodler zeigt sich vor allem in den Haltungen der Rückkehrenden. Während sie bei dem Älteren ungebrochen und in Formation nach Hause marschieren, machen sich bei Dejneka Zeichen von Erschöpfung und Verwundung bemerkbar. Beide Bilder stellt die Ausstellung in Kontext zu Neo Rauchs "Aufstand" von 2004. Statt vom Aufbruch zur Front träumt hier ein schlafender Künstler im Bett vom Kampf der Farben gegen ein unsichtbares Regime. Drei Männer zu seiner Seite schleudern Farbbündel wie brennende Fackeln aus dem Bild heraus. Rauchs "Aufstand" negiert nicht nur den unbedingten Kampfeswillen bei Hodler und Dejneka. Die "Müdigkeit" seines Helden zeigt sich ebenso von Goyas "Schlaf der Vernunft" und der Armut von Spitzwegs "Poeten" überschattet, wenn auch mehr von Utopieverlust als materieller Not.

Gemeinsamkeiten zeigen auch Rauchs "Die Weiche" (1999), der Verarbeitung des Todes seiner Eltern durch ein Zugunglück, mit Dejnekas "Beim Bau neuer Werkhallen" (1926). Beide Bilder eint nicht nur das Motiv einer quergestellten Eisenbahnschiene am unteren Bildrand. In beiden stehen zudem zwei Frauen als Protagonistinnen im Vordergrund. Während sie sich jedoch im "Bau neuer Werkhallen" noch ganz im Sinne der kommenden Arbeitsheldinnen tänzerisch in den Ablauf der industriellen Produktion einfügen, zerbricht ihre Gemeinsamkeit in Rauchs Gemälde in Wehmut und Zorn: in eine Werksangehörige, die wie zum Abschied eine Fahne mit dem Zeichen ihrer linksgerichteten Überzeugung schwenkt, und eine junge Frau mit No-Future-Attitüde. Zukunftsgewissheit hat sich in Ratlosigkeit verkehrt.

Mit der Einbindung von Neo Rauch in das Werk der Älteren weben die Kuratoren, Kunsthallendirektor Hubertus Gassner, Daniel Koep und Markus Betsch erstmals das Netz eines historischen wie kunsthistorischen Zusammenhangs. Die Schau wird unterstützt durch die Kulturstiftung des Bundes und die Freunde der Kunsthalle.

Müde Helden: Ferdinand Hodler - Aleksandr Dejneka - Neo Rauch 17.2. bis 13.5., Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart, Di-So 10.00-18.00, Do 10.00-21.00