ABC der Arbeit. Vielfalt - Leben - Innovation zeigt Exponate von 1865 bis heute

Lebt man, um zu arbeiten, oder arbeitet man, um zu leben? Heinrich Böll stellt noch zur Zeit des deutschen Wirtschaftswunders in seiner "Anekdote z ur Senkung der Arbeitsmoral" zwei einander kontrastierende Einstellungen zum Thema Arbeit gegenüber. In einem Dorf an einer europäischen Westküste trifft ein Tourist auf einen ärmlich gekleideten Fischer und stellt im Laufe des Gesprächs fest, dass der Fischer das reichere Leben führt. Der Fischer arbeitet nicht viel im Voraus, sondern genießt die freie Zeit, die er hat. Dösend in der Sonne am Hafen. Der Tourist hingegen denkt selbst im Urlaub noch an die Optimierung von Arbeitskraft und verlässt die Situation mit "etwas Neid".

So oder so, Arbeit und Leben sind unmittelbar miteinander verknüpft, das zeigt auch die Ausstellung "ABC der Arbeit. Vielfalt - Leben - Innovation" im Museum der Arbeit ab dem 26. April. Anhand verschiedener Perspektiven wird man durch die "temporäre Dauerausstellung" geführt, die die umfangreiche Sammlung des Museums ganz neu strukturiert. Schon am Eingang wird eine Frage gestellt, die jeder Besucher für sich beantworten muss: "Was ist Arbeit?" Mühsal, Kampf ums Überleben oder Lebensinhalt?

In einem ersten Themenkomplex wird die Vielfalt der Berufe aus den Bereichen Handwerk, industrielle Produktion, Dienstleistung, Handel, Wissensberufe und Unternehmer anhand von Leitobjekten dargestellt. Dies können Arbeitsprodukte, Werkzeuge oder Uniformen sein, die dem Museum der Arbeit zum größten Teil von den Hamburger Bürgern anvertraut worden sind. Von der Krankenschwesteruniform bis zur Kedelklopperhose (plattdeutsch für Kesselklopfer), vom Teil des ersten monströsen Computers des Klärwerks Köhlbrandhöft bis zum Helm eines HDW-Mitarbeiters (Howaldtswerke Deutsche Werft) aus den 80er-Jahren, an dessen Aufklebern man die Geschichte von Streiks, Protesten und Erneuerungen ablesen kann.

"Insofern", erklären Projektleiterin Christina Bargholz und der freie wissenschaftliche Mitarbeiter Henrik Eßler, "repräsentieren die Ausstellungsstücke einen Teil von Hamburgs historischem und sozialem Gedächtnis." Die Geschichten, die mit den Exponaten erzählt werden, beziehen sich auf die Zeit seit der Einführung der Gewerbefreiheit in Hamburg am 1. Februar 1865. Sie stellen Bezüge zu wichtigen historischen Ereignissen her.

Dies betrifft in besonderem Maße auch geschlechtsbezogene Rollenbilder oder die Veränderung der Arbeitswelt durch Migration. Jede Zeit ist auch mit Innovationen im Berufsalltag verbunden. Technische Errungenschaften wie der Computer, den Christina Bargholz gerne als "Dampfmaschine des 20. Jahrhunderts" bezeichnet, weil er unzählige Arbeitsprozesse massiv beschleunigte, zählen ebenso dazu wie Errungenschaften im sozialen und gesundheitlichen Bereich. "Wir sind besonders stolz darauf, zeigen zu können, dass soziale Innovationen wie die Begrenzung der Wochenarbeitszeit oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht vom Himmel gefallen sind, sondern von Menschen erkämpft wurden."

Überhaupt, Menschen. Die Ausstellung zeigt die objektive Seite der Berufe, aber auch individuelle Lebensgeschichten. Im mittleren Bereich der Ausstellung hat der Besucher die Möglichkeit, sich in einer Art Sitzforum einzelnen Erfahrungsberichten zuzuwenden. Über einen Telefonhörer kann er in Interviews der Jahrgänge 1890 bis 1985 hineinhören, während er persönliche Ausstellungsstücke und Archivalien in unmittelbarer Nähe betrachtet. Es sind besondere Geschichten wie die von Heinrich Korella, Jahrgang 1931, der aus einer Danziger Konditorfamilie kommt und 1945 vor der russischen Armee nach Westdeutschland flieht. Korella und seine Mutter gehören zu den wenigen Überlebenden der "Wilhelm Gustloff", deren Untergang am 30. Januar 1945 zu den schwersten Unglücken der Seefahrtsgeschichte zählt.

In Deutschland wurde Korella im Sinne der Familientradition in eine Bäckerlehre gesteckt und arbeitete in vielen Hamburger Konditoreien. "Zehn Jahre betrieb ich die wohl kleinste Konditorei Hamburgs", erzählt Korella sicher nicht ohne Stolz im Interview, "Das Backen und Verkaufen übernahm ich selber." Ob Bäcker, Ingenieurin, Kedeklopper oder Politikerin - in der Identifikation mit dem Beruf verschränken sich Arbeit und Leben untrennbar miteinander.

ABC der Arbeit. Vielfalt - Leben - Innovation ab 26.4., Museum der Arbeit, Wiesendamm 3, Mo 13.00-21.00, Di-Sa 10.00-17.00, So 10.00-18.00