Unterricht bis zum späten Nachmittag, Mittagessen in der Schule, keine Freizeit mehr - im kommenden Schuljahr soll nach dem Willen der Schulbehörde die Ganztagsschule an allen Hamburger Gymnasien eingeführt werden. Schreckensvisionen der Schüler haben mich dazu veranlasst, nachzufragen, was diese Neuerung für uns Hamburger Schüler bedeutet.

Wie funktionieren Ganztagsschulen in der Praxis? Die stellvertretende Schulleiterin Susanne Heinrigs des Gymnasiums Theresianum in Mainz hat mir von ihren Erfahrungen berichtet. Das Theresianum ist bereits seit 1978 eine Ganztagsschule als Regelschule. Die Schüler haben bis 15.30 Uhr Unterricht und ein gemeinsames Mittagessen. Nur der Mittwochnachmittag ist frei.

Für die Nachmittagsstunden stehen rund 120 Neigungsgruppen von Musik, Theater und Sport bis zu weiteren Fremdsprachen zur Auswahl. Ein- bis zweimal pro Woche gibt es klassenübergreifende Hausaufgabenbetreuung. Bei der im Theresianum bestehenden geschlossenen Form einer Ganztagsschule sind alle Vor- und Nachmittagsveranstaltungen, also auch das Mittagessen, die Neigungsgruppen und die Hausaufgabenbetreuung für alle Schüler verbindlich.

Wie soll nun das Konzept Ganztagsschule in Hamburg verwirklicht werden? Volker Stockstrom, Schulleiter des Gymnasiums Oberalster, erläuterte, wie die Umsetzung an unserer Schule geplant ist.

Vorauszuschicken ist, laut Herrn Stockstrom, dass die im kommenden Schuljahr eingeführte Schulzeitverkürzung um ein Jahr auf zwölf Schuljahre eine Ganztagsschule an den Hamburger Gymnasien erst notwendig gemacht hat. Da die vorgeschriebene Stundenzahl beibehalten werden muss, haben die Schüler ab Klasse sieben dann statt 31 künftig 34 Wochenstunden. Vor allem um die jüngeren Schüler nicht zu überfordern, ist dann auch eine Mittagspause erforderlich. Das Unterrichtsende ist somit um 15 Uhr. Somit wäre es eine "Quasi"-Ganztagschule, die aber keine Regelschule sein wird und deren Umsetzung jedem Gymnasium freigestellt ist. Von 15 bis 16 Uhr soll es dann am Gymnasium Oberalster eine freiwillige Hausaufgabenbetreuung durch Lehrer geben. Wer sie nicht in Anspruch nimmt, muss die Aufgaben zu Hause erledigen.

Betrachtet man die Auswirkungen der Ganztagschule, so ist auffallend, dass sich für die Lehrer am wenigsten ändert. Die Zahl der Unterrichtstunden bleibt gleich, sie verlagern sich nur in den Nachmittag. Für Alleinerziehende oder doppelt berufstätige Eltern ist diese neue Schulform ein enormer Gewinn. Es gibt aber sicher auch Eltern, die die Zeit für Gespräche am Mittag vermissen werden.

Am meisten aber wird sich für uns Schüler ändern. Zwar haben wir im Endeffekt nicht mehr Unterricht, weil wir ein Jahr eher unser Abitur haben. Aber unsere Tage werden ganz anders aussehen. Die Schule wird viel mehr als bisher unser Leben bestimmen. Außerschulische Aktivitäten wie Musikschule oder Sportverein werden nur noch, wenn überhaupt, in den frühen Abendstunden möglich sein. Ich kann mir auch vorstellen, dass man am Tag zu wenig Möglichkeiten hat, sich zurückzuziehen, wenn man mal allein sein möchte. Außerdem gibt es viel weniger Möglichkeiten zu außerschulischen Treffen mit Freunden.

Eines ist mir im Laufe meiner Recherchen klar geworden: Die Schule der Zukunft wird nicht mehr so sein, wie sie einmal war. Sie wird viel mehr Raum und Zeit im Leben der Schüler einnehmen. Sie wird ein Fulltimejob für uns werden. Dies ist sicher auch eine Antwort auf gesellschaftliche Veränderungen. Trotzdem bin ich froh, dass mich die Einführung der Ganztagsschule nicht mehr betrifft.

Sarah Ploog, 10 b Gymnasium Oberalster